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Theater und Musik
Jugendlorbeeren um 1850 auf der Casseler Bühne, und anfangs der
60er Jahre glänzte das Dreigestirn Ulram, Osten und Bare na im
Schauspiel. Den beliebten Komiker Birnbaum brachte die unglück
liche Liebesaffäre seiner Tochter zu Fall, die gegen den Willen des
Kurfürsten sich mit dessen ältestem Sohne in kurzer Ehe verband. Sein
Nachfolger wurde der nicht minder bejubelte Friedrich Hesse. Unter
dem Ballctmeister Ambrogio erlebte in den 50er Jahren das Ballet
eine neue Blütezeit, die durch Lucile Grahns öfteres Auftreten an Glanz
gewann. Auch die Oper verfügte über vorzügliche Gesangskräfte, unter
denen die Baritonisten Föppel und Biberhofer, die Tenoristen
D e r s k a und Schloß, der Bassist L i n d e m a n n, die E d e r, M a s i u s,
Molendo-Podesta, besonders aber Theodor Wachtel'), der un
vergleichliche Postillon von Lonjumeau, hervorragten.
Fünfunddreißig Jahre lang stand Altmeister S p o h r an der Spitze
der ausgezeichneten Kapelle und des Casseler Musiklebens. Bei
seinem 25 jährigen Jubiläum vom Kurfürsten zum Generalmusikdirektor
ernannt, führte er, zuletzt von seinem Lieblingsschüler, dem virtuosen
Geiger Jean Bott aus Cassel, unterstützt, noch zehn Jahre den Diri
gentenstab und starb zwei Jahre nach seiner Pensionierung am 22. Ok
tober 1859. Obwohl künstlerisch und menschlich von dem Propheten
der Zukunftsmusik tief geschieden, führte er doch den „Fliegenden
Holländer" schon 1843 (1853 auch den „Tannhäuser") cmf 2 ), so daß
Cassel die zweite Stadt Deutschlands war, die Richard Wagners Musik
dramen kennen lernte. Spohrs Nachfolger Reiß brachte in seinem
„Otto der Schütz" zum ersten Male ein romantisches Kapitel der hessi
schen Geschichte auf die Opernbühne. Der gefürchtete Musikkritiker
Cassels Otto Kraushaar, ein Schüler des nach Leipzig über
gesiedelten Theoretikers Hauptmann, hielt öffentliche Vorlesungen
über Musik und rief 1860 durch Begründung der Musica sacra in
der Residenz eine Pflegestätte guter alter Kirchenmusik ins Leben. Für
das hessische Gesangbuch verfaßte Johannes Wiegand aus From
mershausen ein in den allgemeinen Gebrauch übergehendes Choralbuch,
das durch Wilhelm Volckmars Vor- und Nachspiele eine glück
liche Ergänzung erfuhr. In tiefem als Komponisten und Orgelvirtuosen
') Sein Kontraktbruch gab Veranlassung zu einer Legendenbildung, wie sie in
der Theatergeschichte, nicht nur Cassels, nicht ungewöhnlich war, wobei auch natür
lich der Kurfürst wieder eine böse Rolle spielen mußte.
-) Damit widerlegt sich die immer wieder auftauchende Fabel, unter dem
Kurfürsten habe die Musik des Dresdener Barrikadenkämpfers nicht aufgeführt
werde» dürfen.