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Industrie und Gewerbe Zunftwesen
vermindert hatte. Die Eisenhüttenprodukte Schmalkaldens waren durch
die steigenden Holzpreise teuerer geworden, genossen aber ihren alten Ruf
und fanden dementsprechenden Absatz. Der Begründer der ersten deutschen
Stahlfederfabrik Fack in Schmalkalden (1852) mußte allerdings seine
Produkte mit einem englischen Steinpel versehen, um sie loszuwerden.
In Cassel, Hanau, Witzenhausen und Carlshafen hatte die hessische
Tabaksindustrie ihre Hauptsitze, deren Fabriken und Produktion seit
1846 sich nicht unerheblich vermehrten. Besonders Hanau war eine
Stadt voll blühender Gewerbe. Die dort von Niederländern und Fran
zosen in der Neustadt eingeführte Edelmetallindustrie lieferte ausgezeichnete
Arbeiten von anerkanntem Weltruf.
Wenn die Entwicklung der eigentlichen Großindustrie in Hessen
nicht so, wie von manchen gewünscht wurde, vor sich ging, so lag das
zum Teil an der offenkundigen Abneigung des Kurfürsten gegen manche
moderne Industriemittel. Das Entstehen von Aktiengesellschaften und
ähnlichen Gründungen suchte er möglichst zu hindern. Er war überhaupt
gegen das Fabrikwesen eingenommen, weil es das Handwerk und den
kleinen Mann schädige und das Proletariat und damit die soziale
Revolution großziehe. Darum konnte er sich auch mit dem Gedanken
der Gewerbefreiheit nicht befreunden, der um diese Zeit mehr und mehr
Anhänger gewann. Die hessische Zunftordnung von 1816 war allerdings
veraltet und in ihrer Handhabung entartet. Ihre Schattenseiten zeigten
sich mehr und inehr, seitdem die Nachbarländer um 1860 ansingen, zur
Gewerbefreiheit überzugehen. Die Gegner der Zünfte wiesen auf den
Aufschwung Bockenheims hin, wo die Zunftordnung nie Geltung besessen
hatte, wobei indessen zu beachten war, daß diese jüngste hessische Stadt
(seit 1819) von der Nachbarschaft Frankfurts profitierte. Auch in Hessen
plante man eine Reform des Gewerbewesens trotz des lebhaften Wider
spruchs der in ihren Privilegien bedrohten Zünfte, aber der dahinzielende
Gesetzentwurf von 1864 erhielt nicht mehr Rechtskraft.
Wenn der Kurfürst auch in altmodischer Befangenheit sich gegen
die neuen industriellen Ideen ablehnend verhielt, so wurden doch auch
unter seiner Regierung eine Menge Geschäfte gegründet, die durch die
Tüchtigkeit ihrer Unternehmer in die Höhe kamen. Es lag auch nicht
allein an ihm, daß die Industrie im Lande weniger aufkam als anderswo,
sondern auch an der minder entwickelten industriellen Neigung der
hessischen Bevölkerung. So entbehrte das Land freilich die Vorteile
einer hochentivickelten Industrie, hatte aber auch nicht unter ihren Nach
teilen zu leiden. Auch die Spekulation war in Kurhessen wenig zu