Schwenkung Österreichs Antrag der Großmächte
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ihren bisher festgeschlossenen Reihen sich eine Spaltung zeigte, die durch
ihres Meisters Abwesenheit begünstigt wurde. Sein Eintreten für die
Revolutionsgesetze, namentlich für das Wahlgesetz von 1849, war einer
Anzahl gemäßigter Berfassungsmänner, die sich um den Obergerichtsrat
Bäh rund um Nebelthau gruppierten, nie sympathisch gewesen, und
diese waren bereit, von den extremsten Forderungen Oetkers abzugehen,
zumal sie auch nicht den preußischen Wünschen entsprachen, wie einer
der Drahtzieher der Bewegung, der preußische Gesandte v. Sy dom in
Cassel deutlich durchblicken ließ. „Kaum hatte ich den Rücken gewandt,
so erhob sich eine förmliche Auflehnung gegen das Festhalten an 1849",
klagte Oetker, und war außer sich, daß sogar einer seiner Minister
kandidaten, W i e g a n d, sich der Verschwörung anschloß, die sein ganzes
Werk zu gefährden schien.
Auch diesmal kam die Hilfe wieder von auswärts. Österreich, bis
dahin der stärkste Pfeiler Kurhessens am Bunde, suchte eine Verständi
gung mit Preußen und vollzog demgemäß plötzlich eine vollständige
Wendung seiner bisherigen Politik in der hessischen Frage. Derselbe
Graf Rechberg, der im Jahre 1850 die Bundesbeschlüsse gegen die
Steuerverweigerer in Kurhessen hatte ausführen helfen (vgl. S. 283),
bot jetzt als k. k. Minister des Auswärtigen seine Hand zu deren Um
sturz. Und das geschah in einem Augenblick, als Oetker gerade wieder
mit Bernstorffs Billigung den Plan einer neuen Steuerverweigerung
entworfen hatte und in detaillierten „Winken aus der Ferne" vom
Genfer See aus in Hessen verbreitete. So kam der Tag, auf den
„Pilatus und Herodes Freund miteinander wurden", wie Herr
v. Sydow schmunzelnd zu seinem k. k. Kollegen im Vorzimmer
Abees bemerkte. Am 8. März 1862 stellten Österreich und Preußen in
Frankfurt den Antrag: „Die hohe Bundesversammlung möge die kur
fürstliche Regierung auffordern, Einleitung zu treffen, damit die Ver
fassung von 1831, vorbehaltlich der zunächst auf verfassungsmäßigem
Wege zu vereinbarenden Abänderungen, welche zur Herstellung der Über
einstimmung mit den Bundesgesetzen erforderlich sind, wieder in Wirk
samkeit trete". Mit diesem Antrag der Großmächte, über dessen
Annahme bei dem haltlosen Schwanken der meisten Regierungen kein
Zweifel sein konnte, war der Sieg der Verfassungspartei so gut wie
entschieden. Die Regierung des Kurfürsten war zwar noch nicht gewillt,
nachzugeben, aber was nun geschah, waren nur noch Rückzugsgefechte,
die bei der Ungleichheit der Kräfte schließlich doch mit der Niederlage
enden mußten. Eine vorläufige Bundesverfügung befahl die Einstellung