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Bayern und Preußen in Hessen Schlacht bei Bronzell
sich streckte uns auf dem Grenzpfahl ein steinerner Löwe Zunge und
Tatze entgegen", berichtet der oben schon erwähnte Leutnant v. Verdy.
Um so freundlicher war der Empfang der ungebetenen Gäste in Cassel.
Der in die kurfürstliche Hauptstadt einziehende General v. T i e tz e n emp
fing die steuerverweigernden höhern Beamten, die sich ihm, dem fremden
General, ebenso untertänig wie ihrer eigenen Regierung widerspenstig
und anmaßend erwiesen, und drückte vor dem Holländischen Tore dem
liberalen Schreinermeister Lücken die Rechte mit der Versicherung:
„Wir kommen als Freunde", worauf Lücken erwiderte: „Wenn es so
ist, so sind Sie und Ihre Soldaten willkommen" — eine Szene, die
sich sechzehn Jahre später mit rührender Ähnlichkeit im Ständehause
wiederholen sollte. Ein geharnischter Protest der kurfürstlichen Regie
rung gegen den preußischen Einmarsch blieb unbeachtet. Der Ausbruch
des Bruderkriegs schien unvermeidbar, und das hessische Land schien den
Schauplatz dazu hergeben zu müssen. Drohend standen sich die Bundes
truppen und Preußen im Fuldischen gegenüber, und ain 8. November
gingen wirklich bei Bronzell die Flinten los und verhalfen einem
blessierten preußischen Trompeterschimmel zur kriegsgeschichtlichen Un
sterblichkeit. Aber inzwischen war das Ministerium Radowitz gefallen,
und die schon vorher unsichere preußische Politik geriet nun ganz ins-
haltlose Schwanken. Preußen löste die Union endgültig auf, entschuldigte
sich wegen der Attacke von Bronzell und zog seine Truppen auf Hers
feld zurück. Aber aus dem Lande wollten die Preußen nicht wieder
heraus, angeblich um die ihnen durch die Konvention von 1834 einge
räumten Etappenstraßen zu schützen. Zn der kurhessischen Hauptstadst
„welche wir im Widerspruch mit dem Völkerrecht und dem von uns
selbst als gültig erkannten Bundesrecht besetzt haben" — so schrieb
Bismarck an seine Frau — spielten sie eine merkwürdige Rolle, ließen
sich als Erretter und Befreier preisen, benahmen sich wie die Herren
des Landes und entfernten die Proklamationen des Kurfürsten. Preu
ßische Sendlinge kamen von Berlin und unterhandelten mit den Führern
der Opposition wie mit einer anerkannten kriegführenden Macht, und
andererseits scheuten die Neuhesscn sich nicht, Wippermann in ge
heimer Mission nach Berlin zu entsenden, wo er mit dem preußischen
Minister Manteuffe! über den Kriegsplan gegen die kurfürstliche Re
gierung und über den ersehnten Sturz Hassenpflugs konspirierte. Hassen
pflug hatte die Absicht, das preußische Doppelspiel, die heimliche Unter
stützung der Rebellion verbunden mit ihrer schroffen Verurteilung durch
den König und seine Umgebung, durch Veröffentlichung von dessen Brief