Abschiedsgesuch der Offiziere 10. Oktober 1850
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war, der oberste Kriegsherr während des Kriegszustandes sich von ihnen
verlassen sehen mußte. Fast das ganze kurhessische Offizierskorps legte
am 10. Oktober dem Kurfürsten den Degen vor die Füße und bat
uni seinen Abschied. Von 257 Ofsizieren schlossen sich nur 28 dem all
gemeinen Schritt nicht an. Damit war die neue Phase des Kriegs
zustandes in Cassel zu Ende; das „Schwert der Obrigkeit" war den
Händen des Oberbefehlshabers entfallen.
Das Abschiedsgesuch des hessischen Offizierskorps erregte un
geheures Aufsehen in der ganzen Welt und wurde von den Gegnern
mit Jubel begrüßt. Die liberale Presse feierte die Offiziere als Helden
und Märtyrer des Rechts und des konstitutionellen Gedankens, und
Oetker ging so weit, zu behaupten: „Die ganze Geschichte kennt keine
schönere Tat!" Die Nachwelt wird dieses Urteil kaum begreifen, viel
weniger unterschreiben, io schwer es ihr überhaupt wird, sich in die
Ideenwelt einer überwundenen Zeit hinein zu finden. Die Offiziere standen
zweifellos unter dem Drucke des Verfassungseides, aber sie hatten als
Offiziere nicht über die verwickelten, zwischen Regierung und Kammer
opposition strittigen Rechtsfragen zu entscheiden. Es kam gar nicht mehr
darauf an, ob, wo, wann und von wem die unglückselige, so oft in
der Revolutionszeit durchlöcherte Verfassung wieder einmal lädiert worden
war, sondern es handelte sich um den Geist soldatischer Gesinnung und
unverbrüchlicher Fürstentreue, der hier versagte, in einem Kampfe, der
eingestandenermaßen um Sein oder Nichtsein der Monarchie in Hessen
geführt wurde. Wenigstens die demokratische Presse machte im Gegen
satz zu der liberalen, die ihre Opposition mit einem konstitutionellen
Mäntelchen drapierte, keinen Hehl über das Endziel ihres Kampfes.
Bezeichnete doch die „Hornisse" den Kurfürsten als einen „Rebellen"
gegen die Volkssouveränität und rief sie ihm doch in einem ihrer be
rüchtigten, mit ebensoviel Geschick wie unerhörter Dreistigkeit abgefaßten
offenen Briefe zu: „Königliche Hoheit! Die Tage der Fürsten sind vor
über auf ewig. Die Monarchie in Kurhessen ist zu Ende." Nichts be
zeichnet die Situation besser, als daß die verfassungstreuen hessischen
Staatsanwälte diese und weit schlimmere Ausfälle passieren ließen,
während sie mit Argusaugen die Schritte der Regierung und des Ober
befehlshabers in Bezug auf etwaige kleinste Verfassungsverletzungen
überwachten.
Auch in Wilhelmsbad machte das Abschiedsgesuch der Offiziere
einen tiefen Eindruck, namentlich auf den Kurfürsten selbst, der diesen
Eindruck nie völlig überwunden hat. Daß an demselben 10. Oktober,