Versagen des Kriegszustandes Flucht der Negiening
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Entscheidung des höchsten hessischen Gerichts der beispiellosen Be
amtenrevolution die rechtfertigende Weihe geben und auch die letzten
noch schwankenden Staatsdiener in das Lager der Regierungsgegner
führen.
Die einschneidende Wirkung, die Hassenpflug und seine Kollegen
sich von der Verhängung des Kriegszustandes versprochen hatten, war
somit ausgeblieben. Der Kriegszustand war infolge seiner ungeschickten
Handhabung dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen. Er bestand in
Wirklichkeit nur in dem unblutigen, aber entschiedenen Kriege der ver
schiedenen Staatsgewalten, Regierung und Behörden, gegeneinander und
mußte schließlich zur gänzlichen Auflösung aller staatlichen Verhältnisse
führen. Dem Kurfürsten blieb nun nichts anderes übrig, als entweder
vor den renitenten Staatsdienern zu kapitulieren und das Ministerium
zu entlassen oder eine höhere Instanz zu Hilfe anzurufen, die sich durch
den wiederhergestellten Bundestag von selbst ergab. Er entschied sich für
das letztere. Am Morgen des 13. September wurden die Bewohner von
Cassel durch die überraschende Nachricht, die sich wie ein Lauffeuer ver
breitete, aus dem Schlafe geweckt, daß der Kurfürst mit dem gesamten
Ministerium seine Residenz in der Nacht verlassen habe. Sechs Tage
später verkündete eine Verordnung vom 17. September die Verlegung
des Sitzes der Regierung nach Wilhelmsbad.
Der Plan zu dieser Übersiedelung war von dem Minister des
Äußern Alexander v. Baumbach schon im August angeregt, dann aber
bei der Verschärfung der Situaüon von Hassenpflug und den übrigen
Ratgebern des Kurfürsten eifrig befürwortet worden. Nur mit Wider
streben fügte sich Friedrich Wilhelm in der entscheidenden Minister
ratssitzung am Abend des 12. September, indem richtigen Gefühl, daß
sein Weggang von Cassel als Flucht ausgelegt werden würde, aber den
Gründen der Minister, daß das Verbleiben in einer Residenz, wo
die Behörden den Gehorsam aufsagten, sich mit der Würde der Ne
gierung nicht vertrage, konnte er sich nicht verschließen, uin so niehr
als das gesamte Ministerium andernfalls sich zur Demission bereit er
klärte. Noch auf der Reise selbst äußerte der Kurfürst seine Sorge, daß
man ihn für feig halten könne, und konnte nur durch Vilmars Zu
reden von diesem Gedanken abgebracht werden. Beim Publikum hatte
Vilmar weniger Glück, als er in seinem „Volksfreund" bestimmt ver
sicherte: Ein Kurfürst von Hessen flieht nicht; denn als die „Hornisse"
boshafterweise die Erinnerung an die Ereignisse von 1806 und 1831
wachrief und glossierte, hatte sie die Lacher auf ihrer Seite.