Full text: Geschichte des Kurfürstentums Hessen

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Verhängung des Kriegszustandes 
den Abgrund, den der Bruch derselben in einem Punkt für das Ganze 
eröffnet habe, hinüberzufiihren". Diese Absicht wurde nicht geglaubt und 
auch nicht erreicht, zumal sich der zum Oberbefehlshaber in Kurhessen 
ernannte Generalleutnant Bauer, ein alter Haudegen aus den Napo 
leonischen Kriegen, der Lage in keiner Weise gewachsen zeigte. Die 
Behörden leugneten einfach den Kriegszustand; nur wenige brachten die 
Verordnung vom 7. September zur öffentlichen Kenntnis, und wo die 
betreffenden Maueranschläge wirklich angeheftet waren, wurden sie, z. T. 
von der Polizei selbst, wieder entfernt. Die Beschlagnahme der Zeitungen 
erfolgte ungeschickterweise durch Unteroffiziere, die sich von den Redak 
teuren beschwätzen ließen. Die Zeitungen erschienen trotz aller Verbote 
und Bewachungen lustig weiter, schimpften die Minister „Schufte, scham 
lose Gauner, Gesindel" und ulkten über den lächerlichen Kriegszustand, 
der sich nur durch den Tornister und Brotbeutel der aufziehenden Wache 
dokumentierte: 
Der Kriegszustand tat niemand drücken 
Als die armen Soldaten auf ihrem Rücken. 
„Dagegen war der Belagerungszustand in Dresden eine wilde Bestie, 
der Kriegszustand Ungarns, Wiens, Mailands eine rasende Hyäne", 
spottete nicht ohne Grund die immer maßloser sich geberdende „Hornisse". 
Der unbegreiflichste Fehler in der Rechnung Hassenpflugs aber war, daß 
er die ordentlichen Gerichte in ihren regelmäßigen Funktionen gelassen 
hatte. So konnte der landständische Ausschuß es wagen, die Verhaftung 
der Minister wegen Hochverrats zu beantragen und den Oberbefehlshaber 
Bauer wegen Verfassungsbruchs anzuklagen. Die Bürgergarde kümmerte 
sich gar nicht um die Befehle Bauers, ja das Militär ließ es ruhig 
geschehen, daß ein Polizeikommissar, der die Oetkersche „Neue Hessische 
Zeitung" beschlagnahmt hatte, deswegen unter Zuziehung der Bürger 
garde trotz des Widerspruchs des militärischen Oberbefehlshabers ver 
haftet ivurde. Der ganze Kriegszustand mit seiner laxen Handhabung 
wurde damit zu einer unwürdigen Komödie, die die Stimmung des 
Militärs und namentlich der Offiziere in der ungünstigsten Weise be 
einflußte. Bauer, dem bei der ganzen Sache nicht wohl mar, bat um 
seine Entlassung. Alle Belehrungsversuche der Regierung bei den re 
nitenten Behörden blieben erfolglos. Man sprach zwei verschiedene 
Sprachen und verstand sich nicht, so wenig zwei erbitterte Prozeßgegner 
sich verstehen. Und als nun gar am 12. September das Oberappellations 
gericht sich gegen die Stempelverwendung aussprach und damit die 
Rechtlichkeit der Septemberverordnungen leugnete, da mußte diese
	        
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