270
Verhängung des Kriegszustandes
den Abgrund, den der Bruch derselben in einem Punkt für das Ganze
eröffnet habe, hinüberzufiihren". Diese Absicht wurde nicht geglaubt und
auch nicht erreicht, zumal sich der zum Oberbefehlshaber in Kurhessen
ernannte Generalleutnant Bauer, ein alter Haudegen aus den Napo
leonischen Kriegen, der Lage in keiner Weise gewachsen zeigte. Die
Behörden leugneten einfach den Kriegszustand; nur wenige brachten die
Verordnung vom 7. September zur öffentlichen Kenntnis, und wo die
betreffenden Maueranschläge wirklich angeheftet waren, wurden sie, z. T.
von der Polizei selbst, wieder entfernt. Die Beschlagnahme der Zeitungen
erfolgte ungeschickterweise durch Unteroffiziere, die sich von den Redak
teuren beschwätzen ließen. Die Zeitungen erschienen trotz aller Verbote
und Bewachungen lustig weiter, schimpften die Minister „Schufte, scham
lose Gauner, Gesindel" und ulkten über den lächerlichen Kriegszustand,
der sich nur durch den Tornister und Brotbeutel der aufziehenden Wache
dokumentierte:
Der Kriegszustand tat niemand drücken
Als die armen Soldaten auf ihrem Rücken.
„Dagegen war der Belagerungszustand in Dresden eine wilde Bestie,
der Kriegszustand Ungarns, Wiens, Mailands eine rasende Hyäne",
spottete nicht ohne Grund die immer maßloser sich geberdende „Hornisse".
Der unbegreiflichste Fehler in der Rechnung Hassenpflugs aber war, daß
er die ordentlichen Gerichte in ihren regelmäßigen Funktionen gelassen
hatte. So konnte der landständische Ausschuß es wagen, die Verhaftung
der Minister wegen Hochverrats zu beantragen und den Oberbefehlshaber
Bauer wegen Verfassungsbruchs anzuklagen. Die Bürgergarde kümmerte
sich gar nicht um die Befehle Bauers, ja das Militär ließ es ruhig
geschehen, daß ein Polizeikommissar, der die Oetkersche „Neue Hessische
Zeitung" beschlagnahmt hatte, deswegen unter Zuziehung der Bürger
garde trotz des Widerspruchs des militärischen Oberbefehlshabers ver
haftet ivurde. Der ganze Kriegszustand mit seiner laxen Handhabung
wurde damit zu einer unwürdigen Komödie, die die Stimmung des
Militärs und namentlich der Offiziere in der ungünstigsten Weise be
einflußte. Bauer, dem bei der ganzen Sache nicht wohl mar, bat um
seine Entlassung. Alle Belehrungsversuche der Regierung bei den re
nitenten Behörden blieben erfolglos. Man sprach zwei verschiedene
Sprachen und verstand sich nicht, so wenig zwei erbitterte Prozeßgegner
sich verstehen. Und als nun gar am 12. September das Oberappellations
gericht sich gegen die Stempelverwendung aussprach und damit die
Rechtlichkeit der Septemberverordnungen leugnete, da mußte diese