Full text: Geschichte des Kurfürstentums Hessen

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Hessische Unionsbestrebungen Marburger Revolution 
sich den drohenden Zuzug weiterer bewaffneter Scharen von auswärts 
fernzuhalten. Neben den republikanischen Ideen machten sich merk 
würdigerweise auch solche gemeinhessischer Natur bemerkbar, die auf eine 
Vereinigung der hessischen Lande durch Anschluß an Darmstadt zielten. 
Weil der Großherzog Ludwig als einer der ersten Fürsten die März 
forderungen bewilligt hatte, wollte man ihn zum König von ganz Hessen 
machen, ein Gedanke, der noch nicht der schlechteste war, der in dieser 
tollen Zeit ausgeheckt wurde. Ein ganzer Ballen gedruckter Prokla 
mationen, in denen der Großherzog zum König von Hessen ausgerufen 
wurde, fiel in Eberhards Hände und wurde von ihm unterdrückt. Der 
Großherzog, der von diesen Plänen wußte, war loyal genug, durch 
Estafette ein Schreiben an den Kurfürsten zu schicken, in dem er ihm 
zum Nachgeben riet. Von Cassel aus war eine mobile Kolonne mit 
Artillerie unterwegs, die sich unter dem Generalmajor Schirmer mit dem 
Hanauer dritten Infanterieregiment vereinigte, aber außerhalb der auf 
rührerischen Stadt weitere Befehle abwartete, bis sie Ende des Monats 
wieder zurückgenommen wurde. 
Nicht ganz so arg wie in Hanau, aber auch ziemlich stürmisch ging 
es in den übrigen hessischen Städten zu. Es war überall dieselbe Er 
scheinung: überfüllte Bierhäuser, Volksversammlungen in Permanenz, 
Vereinsbildungen, Volksbewaffnung gegen irgendeinen unbekannten 
rätselhaften Feind, laute Straßenüimulte mit Demonstrationen und 
Katzenmusiken zu Ehren besonders verhaßter Regierungsanhänger oder 
Beamten, und vor allen Dingen „Sturmdeputationen" mit allen mög 
lichen und unmöglichen radikalen Forderungen. In Marburg organi 
sierte sich die akademische Jugend verbindungsweise als Studentenwehr, 
die mit der Bürgergarde zusammen die Wache vor dem Rathaus bezog 
und nachts in den Straßen herumpatroullierte. Professor Bayrhoffer 
gründete einen stark sozialistisch angehauchten demokratischen Verein, 
in dem auch das proletarische Element vertreten war. Das liberale 
Bürgertum und die Akademiker sammelte sein Kollege v. Sybel in 
einem konstitutionellen Verein. In den Volksversammlungen im Uni 
versitätsreithaus wurde Sylvester Jordan gefeiert, obwohl er, erschreckt 
durch das Wachstum der proletarischen Bewegung, zum Frieden und 
zur Mäßigung' riet und sogar auf den Kurfürsten ein Hoch ausbrachte, 
als die Nachricht von dessen Einlenken nach Marburg kam. 
Kurfürst Friedrich Wilhelm war beim Ausbruch der März 
bewegung durch ein eigentümliches Verhängnis völlig vereinsamt. Am 
Tage des Beginnes der Pariser Revolution war der Vorstand des
	        
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