10
Regierung. Minister. Justiz.
der Landgrafschaft Hessen sogar eine besondere Stimme hatte. Der seit
1798 nicht mehr zusammengetretene Landtag vertrat nur Althessen:
das bis 1785 von dein Kurfürsten als Erbprinzen selbständig regierte
Fürstentum Hanau hatte überhaupt keine ständische Vertretung. Trotz
der anerkannten landständischen Verfassung Althessens regierte der Kur
fürst iin ganzen Lande als unumschränkter Herrscher im Sinne des
aufgeklärten Despotismtis. Nur als beratendes Kollegium stand ihni
das Geheime Staatsministerium zur Seite, mit dem er fast täglich im
Geheinien Staatsrat alle wichtigen Angelegenheiten besprach. Friedrich
Siegmund Waitz v. Eschen war der einflußreichste Minister, der seinen
Aufschwung seinem diplomatischen Geschick beim Baseler Frieden und
den Verhandlungen um die Erlangung der Kurwürde verdankte. Waitz'
Kollegen waren sein Schwager v. Meyer und der alte Veltheim, nach
dessen Abgang 1803 der Casseler Regierungspräsident Wilhelm Ludwig
v. Baumbach in das Ministerium eintrat. Da Meyer im Januar 1806
starb, so waren Waitz und Baumbach die einzigen ministeriellen Be
rater des Kurfürsten in der kritischsten Zeit seiner Regierung, und es
gereichte der hessischen Politik nicht zum Vorteil, daß sie beide einen
entgegengesetzten Standpunkt vertraten, indem Waitz für den Anschluß
an Preußen, Baumbach für ben Anschluß an Frankreich eintrat. Un
mittelbar unter dem Kurfürsten standen die beiden Geheinien Kanzleien,
die Kriegskanzlei unter Lennep und die Landkanzlei, an deren Spitze
der gelehrte Jurist Kopp wirkte. Die Verwaltung des Landes lag in
den Händen der in Cassel, Marburg, Rinteln und Hanau bestehenden
besonderen Regierungen, von denen die Casseler nicht nur dem Umfange
nach die meisten Befugnisse hatte. Justiz und Verwaltung waren noch
vereinigt, beide nicht frei von den Fehlern ihrer Zeit, aber doch, nament
lich ivas die Justiz anlangt, gut geregelt und im anerkannten Ansehen in
ganz Deutschland. Seit 1742 besaß Reffen das kaiserliche privilegium
de non appellando und mit dem damals geschaffenen Oberappellations
gericht ein Redstsinstitut, dessen Unabhängigkeit von jeder Willkür durch
landesherrliche Edikte in den stärksten Ausdrücken gewahrt war. Durch
eine Reihe von trefflichen Verordnungen war besonders das Prozeß
verfahren, abweichend vom gemeinen deutsd)en Prozeß, so gut geregelt,
daß der berühmte Jurist Savigny in seiner Schrift „über den Benif
unserer Zeit zur Gesetzgebung" aus unmittelbarer Kenntnis hessischer
Verhältnisse fdjreiben konnte: in Hessen sei die Rechtspflege schon längst
gut und schnell gewesen. Ein von dem Kurfürsten geplanter Codex
Wilhelminus des bürgerlichen Rechtes frfjeitertc durch den Umsturz der