Full text: Geschichte des Kurfürstentums Hessen

Die Mystiker in Cassel 
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Hauptstadt aus, wo die Pfarrer Lange und Rausch auf den Kan 
zeln der Garnisonskirche, Brüderkirche und Unterneustädter Kirche Töne 
anschlugen, wie man sie lange in diesen Räumen nicht gehört hatte. 
Es konnte nicht ausbleiben, daß diese neue Predigtweise in der vom 
Rationalismus völlig beherrschten Residenz auf eine scharfe Opposition 
stieß, zumal Hassenpflug als Anhänger und Förderer der „Mystiker" und 
„Mticker" galt. Am 6. März 1833 gründete Lange mit seinen Freunden, 
dem Oberappellationsrat, frühern Marburger Professor Bickell und dem 
Landgerichtsassessor Ewald, den Evangelischen Missionsverein. Dieser 
Verein, der zum Mittelpunkt der strenggläubigen Gegner des Vernunft 
glaubens wurde, erfreute sich des besondern Hasses des großen Publi 
kums. Es gehörte zum guten Tone, auf Mystiker, Mucker und Jesuiten 
zu schimpfen, womit man in kritikloser Verallgemeinerung nicht nur 
alles bezeichnete, was nicht in dem großen Strome des herrschenden 
Rationalismus und Liberalismus schwamm, sondern auch jede Persön 
lichkeit brandmarkte, die einem aus irgendeinem Grunde zuwider war. 
Der Wirt, der schlechtes Bier verzapfte, der Schuster, dessen Stiefel 
einen drückten, der Korporal, der einen Rekruten anschnauzte und der 
Rekrut selber, der angeschnauzt wurde — alle waren „Mystiker". Als 
nun Lange durch sein aufgeregtes Temperament sich zu allerlei Extra 
vaganzen in Predigt und Seelsorge hinreißen ließ, die, böswillig ent 
stellt und übertrieben, das Tagesgespräch der Residenz wurden, setzte 
eine planmäßige Hetze gegen ihn ein, um den Häuptling der mystischen 
Sekte aus Kassel zu vertreiben. Im Februar 1835 kam es zu richtigen 
Straßenkrawallen vor seinem Hause; die Fensterscheiben wurden ihm 
eingeworfen, und nur durch das Aufgebot von Militär und Bürger 
garde konnten weitere Ausschreitungen verhindert werden. Die Aufregung 
legte sich erst, als Lange angesichts des offenen Widerstandes seiner, 
durch den Rationalisten Ernst beeinflußten Gemeinde nach Esch- 
wege versetzt wurde, wo er als gebrochener Mann im Fahre 1852 
starb. Auch der Unterneustädter Pfarrer Emil Rausch, ein gottbe 
gnadeter Kanzelredner und treuer Seelsorger ohne das exaltierte Wesen 
Langes, fiel 1838 dem Volkswillen zum Opfer, wurde nach Rengs 
hausen bei Rotenburg versetzt und gründete dort die Kinder- und Rettungs 
anstalt des Beiserhauses, die seinen Namen in der Geschichte der christ 
lichen Liebestätigkeit in Hessen fortleben läßt. Nur der Iuchthausgeist- 
liche Lohr, auf demselben Grunde wie Lange und Rausch stehend, 
konnte sich in Cassel halten. Die Erweckungsbewegung aber verbreitere 
sich weiter im Lande und fand in zahlreichen Konventikeln und.äitr
	        
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