4
Landgraf Wilhelm IX.
sonst in allen Stücken anders geartet als der Vater, folgte doch in der
äußeren Politik seinen Spuren, namentlich in dem Anschluß an die
evangelischen Vormächte. Sein Bestreben, die Macht seines Hauses zu
erweitern, führte ihn allerdings zunächst in eine böse Sackgasse, als er
im Jahre 1787 den mißglückten Versuch machte, die Grafschaft Bücke
burg als erledigtes hessisches Lehen einzuziehen. Obwohl von seinem
Rechte fest überzeugt, hat der Landgraf doch später dies verfehlte Unter
nehmen bitter bereut. Die erhoffte Unterstützung der Höfe von Berlin
und London blieb aus, der Nachfolger des Eroberers von Schlesien
machte vielmehr gegen den „Landfriedensbruch" mobil, und das Ende
vom Lied war ein verlorener Prozeß beim Reichshosrat und eine Ver
stimmung namentlich mit dem kaiserlichen Hofe. Doch bald sollte sich
dem Landgrafen eine Gelegenheit bieten, diese Verstimmung wieder aus
zugleichen und seinen Reichspatriotismus vor aller Welt zu dokumen
tieren. Als die ersten Wellen der französischen Revolution die deutsche
Westgrenze bespülten, und die deutschen Kurfürsten sich gerade damals
anschickten, in Frankfurt den Nachfolger Kaiser Josephs II. zu wählen,
da schützte der hessische Landgraf durch das Aufgebot einer stattlichen
Truppenmacht die Wahlhandlung und konnte den neuen Kaiser
Leopold II. in seinem Lager zu Bergen die militärische Kraft seines
Landes in den glänzenden, mit den frischen Lorbeern des Siebenjährigen
und Amerikanischen Krieges geschmückten, hessischen Regimentern vor
Augen führen. Damals trat Hessen-Cassel zuerst offen als Bewerber
um die erledigte neunte Kur auf, aber das Kurkollegium zeigte sich
spröde und begnügte sich mit einer nichtssagenden Anerkennung der
Verdienste des altfürstlichen Hauses Hessen und einer ausweichenden
Antwort auf das Begehren des Landgrafen. Die geistlichen Mitglieder
ahnten noch nicht, wie nahe die Gefahr war, die ihre uralte bevor
rechtigte Stellung im Reiche bedrohte. Aber der hessische Landgraf ließ
sich durch das Fehlschlagen seiner Hoffnung auf seinem Wege nicht irre
machen. Er, der ganz in den Ideen des patriarchalischen Regiments
aufging, ahnte vielleicht am stärksten unter den deutschen Fürsten die
von Westen drohende Gefahr und stemmte sich mit aller Energie dem
französischen Revolutionsgeiste entgegen, der alles, was ihm heilig und
unantastbar schien, bedrohte und an den Grundfesten des alten Heiligen
Römischen Reiches zu nagen und zu rütteln begann. Rücksichtslos hatte
Wilhelm schon iin Jahre 1789 die leisen Spuren revolutionärer Be
wegung unterdrückt, die sich selbst in seinem ruhigen Hessenlande zu
zeigen begannen, als die Nachrichten von den Geschehnissen in Paris