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Der konstituierende Landtag 1830
Kurfürst auf dem Friedrichsplatze die erste Parade über die beiden
Bürgerbataillone und die neugebildete reitende Bürgereskadron abnahm,
da herrschte lauter Jubel und Begeisterung über die Teilnahme des
Landesherrn an dem so schnell liebgewonnenen Soldatenspiele.
Die Stände hatten ihre Beratungen am 18. Oktober begonnen,
dem Tage, an dem man früher in den Kirchen Gott für den Sieg bei
Leipzig gedankt hatte. Ihre 30 Mitglieder teilten sich wie 1815/16 in
die drei Kurien der Prälaten und Ritter, Städter und Bauern. Zu den
Prälaten gehörte auch der Vertreter der Universität Professor Jordan,
der von nun an eine besondere Rolle in der hessischen Derfassungs-
geschichte spielen sollte. In die erste Kurie trat ferner als energischer
Vertreter der Schaumburger Interessen der hannoversche Kammerherr
v. Hammerstein und für die Standesherrn der Graf von Isenburg-
Philippseich ein. Unter den städtischen Abgeordneten war Carl
Schomburg, seit 1822 Bürgermeister von Cassel, der angesehenste:
neben ihm genoß sein Hanauer Kollege Eberhardt ein nicht un
bedeutendes Ansehen. Die Bauern des Schwalmstroms hatten in dem
ehemaligen österreichischen Oberleutnant Jungk, die der oberen Fulda
in dem Apotheker Haberland die befähigsten Vertreter ihrer Kurie
in den Landtag geschickt.
In den Unruhen der Septembertage und besonders in der Caffeler
Magistratspetition war nur der Wunsch nach Einberufung der Stände
laut geworden, das Wort „Verfassung" war noch nicht gefallen.
Aus dem Munde des Landesherrn sollte es jetzt zuerst kommen. Es
hatte nicht an Versuchen gefehlt, ihn davon abzuhalten. Der eigene Sohn
hatte, unterstützt von den Bundesgrößen, von Frankfurt aus den Kur
fürsten eindringlich vor einer modernen Konstitution geivarnt und ihn ge
beten, ja nicht von der alten ständischen Verfassung abzugehen. Anderer
seits hatte der Darmstüdter Hans v. Gagern, einst Wilhelms I. Ratgeber
in kritischer Prager Zeit, durch des Kurfürsten Adjutanten M ü I d n e r be
tont, wieviel an der Eintracht und dem Zusammenhalten beider hessischer
Häuser und auch daran liege, daß ähnliche Verfassungseinrichtungen
beiden Ländern zuteil würden l ). Dem Kurfürsten, der jetzt dem direkten
Einfluß der Reichenbach entrückt schien, war es ehrlich darum zu tun,
sein Versprechen zu halten und dem Volke durch Zugeständnisse entgegen
zukommen, wenn ihm auch nichts ferner lag, als in der Berfassungs
frage einen radikalen Sprung ins Dunkle zu tun. Kurz vor dem Zu-
st Die von dem Großherzog Ludwig I. erlassene Darmstüdter Verfassung
datierte bereits vom 17. Dezember 1820.