134
Folgen der Drohbriefaffäre
Atmosphäre dazu, um die ungeheure Wirkung zu verstehen, die das
bombastische Schriftstück hatte. Auch der alte Kurfürst Wilhelm I.
hatte öfters anonyme Briefe erhalten, aber kein großes Aufheben davon
gemacht. Sein Sohn war aus einem andern Holz geschnitzt und ließ
sich leichter einschüchtern. So hatte der Brief, der schwerlich mehr als
einen groben Unfug bedeutete und nur bezweckte, einen Druck auf den
Kurfürsten auszuüben, um ihn von der Reichenbach zu entfernen, einen
ungeahnten und gewiß auch ungewollten Erfolg.
Der Kurfürst war fassungslos. „Habe ich das um das Land
verdient!" rief er weinend aus. Manger und der Minister v. Schmer
feld mußten sofort nach Cassel zurückkehren, und statt den Unfug des
anonymen Briefes einfach zu ignorieren, wurde eine Haupt- und Staats
aktion daraus gemacht. Eine hohe Belohnung von 10000 Talern
wurde öffentlich für die Entdeckung des Täters und der Mitglieder der
angeblichen Verschwörung ausgesetzt und es regnete Verhaftungsbefehle.
Der Polizeidirektor v. Manger war jetzt in seinem Element und entfaltete
eine ungemein rührige Tätigkeit. Nach der Rückkehr des Kurfürsten
wurde das Schloß Wilhelmshöhe ängstlich bewacht und eine eigene
Gardegendarmerie zum Schutze des Fürsten gebildet. Die Aufregung
wuchs, als noch andere Drohbriefe meist albernen oder unflätigen
Charakters trotz aller Aufmerksamkeit der Polizei zum Vorschein kamen.
Angesichts der Folgen seines Streiches schien der Drohbriefschreiber
„Freimut" nun doch selbst Gewissensbisse zu empfinden und erklärte in
einem am 4. Januar 1824 auf dem Friedrichsplatz gefundenen neuem
Schreiben, es fei alles nicht so bös gemeint gewesen, der „Rächerbund"
habe sich aufgelöst, und er selbst sein Vaterland für immer verlassen.
Aber es war zu spät; die Polizei arbeitete weiter, zumal auch aus
dem Ausland anonyme Briefe eintrafen. Die Verhaftungen mehrten
sich. Zuerst hatte die Polizei es hauptsächlich auf verdächtige Personen
der unteren Stände abgesehen, später waren aber auch Angehörige der
besseren Kreise nicht mehr vor ihr sicher, ja schließlich wagte sich der
Verdacht der Polizei sogar bis in die höchsten Regionen, ohne daß die
durch viele Spione und Polizeiagenten unterstützte Untersuchung ein auch
nur irgendwie greifbares Resultat zutage förderte. Besonderes Aufsehen
erregte die Verhaftung des reichen Hofrats Dr. Friedrich Murhard,
der von Hanau nach Cassel gebracht, aber wie die meisten Inhaftierten
als unschuldig bald wieder entlassen wurde. Eine besonders eingesetzte
Untersuchungskommission von drei namhaften Juristen quälte sich jahre-
lang mit der Bearbeitung des ihr in Unmassen zufließenden Materials