Full text: Geschichte des Kurfürstentums Hessen

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Folgen der Drohbriefaffäre 
Atmosphäre dazu, um die ungeheure Wirkung zu verstehen, die das 
bombastische Schriftstück hatte. Auch der alte Kurfürst Wilhelm I. 
hatte öfters anonyme Briefe erhalten, aber kein großes Aufheben davon 
gemacht. Sein Sohn war aus einem andern Holz geschnitzt und ließ 
sich leichter einschüchtern. So hatte der Brief, der schwerlich mehr als 
einen groben Unfug bedeutete und nur bezweckte, einen Druck auf den 
Kurfürsten auszuüben, um ihn von der Reichenbach zu entfernen, einen 
ungeahnten und gewiß auch ungewollten Erfolg. 
Der Kurfürst war fassungslos. „Habe ich das um das Land 
verdient!" rief er weinend aus. Manger und der Minister v. Schmer 
feld mußten sofort nach Cassel zurückkehren, und statt den Unfug des 
anonymen Briefes einfach zu ignorieren, wurde eine Haupt- und Staats 
aktion daraus gemacht. Eine hohe Belohnung von 10000 Talern 
wurde öffentlich für die Entdeckung des Täters und der Mitglieder der 
angeblichen Verschwörung ausgesetzt und es regnete Verhaftungsbefehle. 
Der Polizeidirektor v. Manger war jetzt in seinem Element und entfaltete 
eine ungemein rührige Tätigkeit. Nach der Rückkehr des Kurfürsten 
wurde das Schloß Wilhelmshöhe ängstlich bewacht und eine eigene 
Gardegendarmerie zum Schutze des Fürsten gebildet. Die Aufregung 
wuchs, als noch andere Drohbriefe meist albernen oder unflätigen 
Charakters trotz aller Aufmerksamkeit der Polizei zum Vorschein kamen. 
Angesichts der Folgen seines Streiches schien der Drohbriefschreiber 
„Freimut" nun doch selbst Gewissensbisse zu empfinden und erklärte in 
einem am 4. Januar 1824 auf dem Friedrichsplatz gefundenen neuem 
Schreiben, es fei alles nicht so bös gemeint gewesen, der „Rächerbund" 
habe sich aufgelöst, und er selbst sein Vaterland für immer verlassen. 
Aber es war zu spät; die Polizei arbeitete weiter, zumal auch aus 
dem Ausland anonyme Briefe eintrafen. Die Verhaftungen mehrten 
sich. Zuerst hatte die Polizei es hauptsächlich auf verdächtige Personen 
der unteren Stände abgesehen, später waren aber auch Angehörige der 
besseren Kreise nicht mehr vor ihr sicher, ja schließlich wagte sich der 
Verdacht der Polizei sogar bis in die höchsten Regionen, ohne daß die 
durch viele Spione und Polizeiagenten unterstützte Untersuchung ein auch 
nur irgendwie greifbares Resultat zutage förderte. Besonderes Aufsehen 
erregte die Verhaftung des reichen Hofrats Dr. Friedrich Murhard, 
der von Hanau nach Cassel gebracht, aber wie die meisten Inhaftierten 
als unschuldig bald wieder entlassen wurde. Eine besonders eingesetzte 
Untersuchungskommission von drei namhaften Juristen quälte sich jahre- 
lang mit der Bearbeitung des ihr in Unmassen zufließenden Materials
	        
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