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Sächsische Exekution August 1814 Wiener Kongreß
gewehr dergestalt beurlaubt, daß sie auf Order jeden Tag wieder ein
gezogen werden konnten. Diese Maßregel geschah nicht nur aus Spar
samkeitsgründen, sondern hauptsächlich im Interesse der Landwirtschaft,
um dem menschenarmen Lande die für die Erntearbeiten unbedingt
nötigen Arbeitskräfte nicht länger zu entziehen, bot aber der preußischen
Regierung Veranlassung, dagegen einzuschreiten, weil bis zur politi
schen Neugestaltung Deutschlands das hessische Armeekorps mobil
bleiben müsse. Der Kurfürst hatte sich gerade wie in alter Zeit zur
Kur nach Hofgeismar und Nenndorf begeben und war besonders in
der Grafschaft Schaumburg herzlich empfangen worden, als er die
Nachricht erhielt, daß auf Veranlassung des preußischen Generals
v. Kleist das sächsische Armeekorps des Generals v. Thielmann in
Oberhessen eingerückt sei, um die hessische Regierung zur Willfährigkeit
gegen die preußischen Forderungen zu zwingen. Thielmann nahm mit
der sächsischen Garde sein Quartier zu Marburg und geriet bald in
ein so gespanntes Verhältnis zu den akademischen Behörden, daß zeit
weise eine Art von Kriegszustand dort herrschte. Der Kurfürst brach
seinen Badeaufenthalt ab und schickte den Geheimen Kriegsrat Lennep
nach Berlin, um die ungebetenen kostspieligen Gäste möglichst schnell
wieder los zu werden, gegen deren „Freveltaten" der dadurch persönlich
hart betroffene Marburger Professor Wachter einen lauten öffentlichen
Protest erließ. Lenneps Sendung hatte Erfolg; im September rückten
die Sachsen wieder ab, und ein preußischer General v. Gaudy kam nach
Hessen, um sich davon zu überzeugen, daß die hessischen Truppen trotz
der teilweisen Beurlaubungen jederzeit wieder in Kürze schlagfertig sein
würden, wovon schon im nächsten Jahre der Beweis geliefert werden
konnte.
Am 24. September 1814 reiste der Kurfürst mit dem Kurprinzen
und einer zahlreichen Suite zum Wiener Kongreß und verweilte
bis zum Ende des Oktobers in der Kaiserstadt an der Donau. Kaiser
Franz empfing ihn sehr freundlich, peinlich aber war das Zusammen
treffen mit dem König von Preußen, der auf die Beschwerde des Kur
fürsten über die sächsische Exekution sich mit der Bemerkung entschuldigte,
es habe sich nur um ein Mißverständnis gehandelt. In Wien bemühte
sich der „Nestor der deutschen Fürsten" eifrig um die Wiederherstellung
des alten Deutschen Reichs und trat an die Spitze der 29 Fürsten und
Freistädte, die am 15. Oktober „unserm alten Kaiser Franz II." die
Reichskrone „als teutscher Freiheit Ägide" wieder anboten. Unter
Wahrung ihres guten Rechtes, bei der Verfassungsarbeit Deuffchlands