lieber Geschichtsauffassung.
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nen Klassen und Rangstufen zu ordnen. Jetzt aber konnte ein
Kleinbürgcrsmann zu hohem Ansehen und großem Reichtume
heranwachsen und der Träger eines angesehenen Familiennamens
in Armut und Elend untertauchen. Die geistliche Macht konnte
den Verfall der alten Ordnung nicht aufhalten, dem Drängen der
neuen nicht widerstehen; die Kirche paßte sich den neuen Ver
hältnissen an, indem sie sich der neuen Gesellschaftsordnung und
Rangstufung auch in ihrer hierarchischen Organisation anglie-
dertc. Der Unterschied zwischen dem armen kleinen Handwerker
und dem reichen Fabrikherrn ist kaum größer als der zwischen
einem hohen geistlichen Würdenträger, der in „ersten Kreisen“
amtiert, und dem Pfarrer eines kleinen Landstädtchens. Nicht
nur in den einzelnen Kirchen gibt es solche Rangunterschiede
zwischen der Geistlichkeit, sondern auch zwischen verschiedenen
Kirchen bestehen sie, bald mehr, bald weniger hervortretend;
man vergegenwärtige sich nur den Unterschied zwischen einem
Geistlichen einer anerkannten Landeskirche und einem Pfarrer
einer kleinen Sekte oder gar einem Offizier der Heilsarmee.
Solche Unterschiede haben mit der eigentlichen Grundlage aller
kirchlicher Organisation, der geistlichen Autorität, nichts zu
tun; sic entsprechen einfach der Gesellschaftsordnung, die das
Resultat des wirtschaftlichen Kampfes um Sclbstcrhaltung und
Herrschaft ist.
Aber nicht nur auf solche Aeußerlichkeiten erstreckt sich
die Zersplitterung der Kirchen und ihrer Hierarchien. Möge es
den verschiedenen Kirchen einer Religionslehre noch gelingen,
eine gewisse Uebereinstimmung in der Lehre ihres Gottes zu
wahren und selbst in dem Wortlaute ihrer Gebote für die Hand
lungen der Menschen, in der Auslegung dieser Lehren und
Gebote und in ihrer Anwendung im täglichen Leben ergeben
sich die größten Gegensätze und Widersprüche. Je mehr sich
die Klassengegensätze und Intercssenkonflikte in einer Gesell
schaft zuspitzen, desto schwieriger wird die Stellung der bei