Full text: Der internationale Herold (1. Jahrg. 1922)

Pazifismus und Pädagogik. 
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formen gefehlt. Beim Austausch der materiellen und geistigen 
Güter mit andern Nationen hätten wir es nicht verstanden, jene 
innige Bande zu knüpfen, durch die wir den Menschen unent 
behrlich werden. Wir seien auf dem Weltmärkte als Erzeuger 
wie Abnehmer nur als Konkurrenten aufgetreten und hätten der 
Welt in jedem Monate vorgerechnet, welche Nationen wir hier 
auf diesem Gebiete und dort auf dem andern wieder überflügelt. 
Trotz unserer vielgestaltigen Kenntnisse des internationalen 
Lebens hätten wir keine Fühlung und damit kein rechtes Ver 
ständnis für die Völker und ihr wirtschaftliches Leben gewonnen. 
Wir konnten nicht Maß halten, ließen uns von unseren Inter 
essen beherrschen, anstatt sic zu beherrschen. Achnlichc Urteile 
sind allerdings auch über die Franzosen, Engländer, Ameri 
kaner usw. in der Leute Mund. Wir können darauf nicht weiter 
eingehen. Ich halte cs mit Lessing, wenn er sagt: „Ich liebe 
nicht allgemeine Urteile über ganze Völker“. Und ebenso, wenn 
er in seinem „Nathan“ hinzufügt: „Ich weiß, wie gute Menschen 
denken, weiß, daß alle Länder gute Menschen tragen“. Aber 
soviel ist wohl sicher: daß an der nichtswürdigen Art, mit 
welcher jetzt unsere Feinde uns behandeln, wenn sie uns drang 
salieren und wegwerfend sagen: es sind ja nur Deutsche —, 
daß unser mangelhaftes Benehmen daran mit Schuld ist. 
Mehr Würde, mehr Anstand und Höflichkeit muß in 
unserer Erziehung zur Geltung kommen. Wie im Einzelleben, 
so ist im Völkcrleben die Disziplinierung, die Zähmung 
der Triebe, die Selbstbeherrschung und Rücksichtnahme auf die 
anderen, daß jedem sein Recht werde, der erste und wichtigste 
Teil der Erziehung. Wenn auch die Formen der Höflichkeit 
nur äußere Formen sind, sie ebnen der positiven Erziehung, 
die wir im Völkerverkehr als Zivilisicrung, wodurch der 
Mensch mit anderen verkehren lernt, dann als Kultivierung, 
die ihn zu höherer Zwecken geschickt macht, und als Morali- 
sierung, indem der Menschen vernünftige Natur zur vollen
	        
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