lieber Geschichtsauffassung.
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des Einzelnen berührt ihn, nur die wirtschaftliche Lage der ge
samten Nation bestimmt seine wirtschaftliche Stellung.
Wir haben gesehen, daß das Verhältnis der einzelnen Klassen
zueinander in der Hauptsache durch wirtschaftliche Faktoren
bestimmt und geregelt wird, aber in dem Verhältnisse der Klassen
zum Staate tritt dieser reinwirtschaftliche Charakter hinter dem
politischen zurück; die wirtschaftlichen Machtverhältnisse werden
in politische Rechtsverhältnisse übersetzt. Daher geht neben
dem wirtschaftlich-gesellschaftlichen Kampfe ein politischer Kampf
der Klassen um die Vorherrschaft im Staate oder, wenigstens,
um möglichst großen Einfluß auf ihn. Diese enge Verquickung
hat wirtschaftlich unterlegene Klassen immer wieder dazu ver
führt, den Versuch zu machen, ihre wirtschaftliche Lage durch
Aneignung der Staatsgewalt auszugleichen oder doch zu heben
und besser zu gestalten. Jeder derartige Versuch muß mißglücken,
wenn die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ebenso
gründlich und erfolgreich umgeändert werden können als die
politischen, denn diese letzteren sind nicht Ursache sondern
Folgen der ersteren. Nur eine wirtschaftlich gesunde und
kräftige Nation kann einen großen kraftvollen Regierungsapparat
unterhalten, denn die in ihm beschäftigten Arbeitskräfte werden
nicht nur der produktiven Betätigung entzogen, sondern müssen
von dem übrigen Teile der Bevölkerung auch getragen werden
mitsamt ihrem sehr erheblichen Materialverbrauche. Gerät die
wirtschaftliche Organisation in Unordnung, werden die Quellen
nationalen Reichtumes verstopft, stockt die geordnete Produktion,
so bilden die staatlichen Einrichtungen mit ihrem Beamtenheere,
mit den in Polizei und Heer nebst Marine beschäftigten Menschen
massen eine unerträgliche wirtschaftliche Last. Werden diese
vernachlässigt, erscheint ihnen ihre Stellung und ihre wirtschaft
liche Zukunft bedroht, so werden sie sich stets auf seiten derer
stellen, von denen sie eine Besserung ihrer Lage erwarten können,
d. h. auf seiten der wirtschaftlich stärkeren oder der herrschenden