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Der Internationale Herold.
steht die Bühne fast die ganze Zeit leer, und erfährt man
den Gang der Ereignisse meistens aus kurzen Vor- und
Nachsprüchen, und nur dann und wann wird eine Szene ge
räuschvoll vor aller Äugen aufgeführt. Tag und Nacht aber
summt und schwirrt die Luft von Gerüchten, die gewöhnlich
nur dazu beitragen, das Verständnis der Geschehnisse zu er
schweren und zu verwirren.
An der offiziellen Konferenz interessieren einstweilen die
tatsächlichen Ergebnisse weit weniger als die Schürzung des
Knotens, die Voraussicht dessen, was sich vermutlich demnächst
ereignen wird, und die Personen der Schauspieler, sowie die
ganze Inszenierung. Die inoffizielle Konferenz der geheimen
und privaten Verhändler und der gesamten großkapitalistischen
Geschäftswelt entzieht sich noch der Oeffentlichkeit, dürfte aber
mindestens ebenso bedeutsam und jedesfalls viel regsamer ver
laufen als die der großen Staatsmänner. Wir haben unsere
Leser schon wiederholt darauf hingewiesen, daß das wichtigste
Ergebnis der Konferenz die Entscheidung darüber sein werde,
ob der französische militaristisch-politische Imperialismus oder
der wirtschaftliche Imperialismus der Angelsachsen in Zukunft
tonangebend für den Verkehr der Völker sein soll, und daß die
Konferenz im Zeichen dieses Gegensatzes stehe. Die bisherigen
Ereignisse haben diese Voraussage voll und ganz bestätigt,
lassen aber die Entscheidung noch zweifelhaft. Man könnte
geneigt sein, Lloyd George allzugroße Zaghaftigkeit vorzuwerfen,
und die Gegner unter seinen eigenen Landsleuten halten mit
diesem Vorwurfe nicht zurück. Demgegenüber muß aber daran
erinnert werden, daß ein Bruch zwischen den beiden führenden
Staaten Europas zwar schnell herbeigeführt werden kann, seine
Folgen aber ganz unübersehbar und unberechenbar sein würden.
Entschließt sich Frankreich, seine eigenen Wege zu gehen, so
wird es Weggenossen finden; Europa, die Welt wird in zwei
feindliche Heerlager geteilt und der endliche kriegerische Kon