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Der Internationale Herold.
kehrenden Katastrophen, vor immer neuen Stürzen in plötzlich
sich auftuende Abgründe auch nur einigermaßen zu sichern.
In der Stunde der Not, in der Angst vor dem drohenden Unter
gänge erkennt man die Zusammengehörigkeit der Menschheit,
wendet man sich verzweifelt an Nah und Fern, steht man ent
setzt vor der Teilnahmlosigkeit oder gar der Schadenfreude und
der Feindschaft anderer, aber ist man der Gefahr entronnen,
fühlt man sich wieder einigermaßen sicher und geborgen, dann
werden jene Gedanken und Gefühle bald vergessen, gehört man
wieder zu denen, deren Verhalten man vorher ganz unverzeih
lich, ganz unfaßbar fand.
Seit Jahr und Tag erörtert man jetzt die Frage der Schuld
am Ausbruche des Krieges, das Verhalten der einzelnen Kriegs
teilnehmer und Neutralen in den verschiedenen Phasen des
Völkermordes, die Kriegsführung, Behandlung der Zivilisten in
Feindesland, Gefangenenbehandlung und ebensoviele Fragen, die
sich aus den Friedensverträgen und den Zuständen nach dem
Kriege ergeben. Jede dieser Fragen wird an tausend Orten von
tausenden von Verbänden, Vereinen, Gemeinden von zehntausen-
den verschiedener Standpunkte aus erregt, leidenschaftlich er
örtert und in zehn oder zwanzig Jahren wird die Menschheit
momentan ihre Gemütsruhe wiedergefunden haben, von neuem
in ihren Halbschlaf verfallen sein, hinter derselben dünnen
Wand, in kaum veränderten wirtschaftlichen, staatlichen und
religiösen Organisationen, auf demselben schwankendem Boden
— der nächsten Katastrophe entgegenträumen. Jeder noch so
geringe Fortschritt auf dem Wege zur Verständigung und Einigung
der Menschheit muß durch unsägliche Opfer und Leiden, durch
entsetzliche Hekatomben zerstückelter Leiber und zerrissener
Seelen erkauft werden, und der Weg scheint noch immer
endlos lang an diesen furchtbaren Metersteinen sich hinzuziehen,
das Ziel, den meisten noch unsichtbar, auch den Hoffnungs
vollsten noch aus unendlicher Weite zu winken.