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Der Internationale Herold.
zwischen Carlyle und Goethe findet sich auch noch das weitere
Wort des ersteren; „Überhaupt werden England und Deutsch
land einander nicht immer fremd bleiben, vielmehr werden sie
wie zwei Schwestern, die lange durch Entfernung und böse
Zungen geschieden waren, einander voll Liebe begegnen und
finden, daß sie blutsverwandt sind.“ (Brief vom 22. Dez. 1829).
Ja, aber wie sollen Völker nun einander kennen lernen,
wie sollen sie sich einander verstehen; wie sollen sie vor allem
durch den Wust von Vorurteilen, Verblendung und Lügen hin
durchdringen, den sie wie eine Mauer zwischen einander auf
gerichtet haben. Und ist es in dieser Nachkriegszeit, wo überall
auf Erden der Geist des Hasses, der Rache, des Mißtrauens
und des Argwohns wie ein Höllenbrand schwalt, nicht nahezu
unmöglich, den feindlich gegenüberstehenden Völkern gerecht
zu werden? Aber doch, diese Aufgabe muß gelöst werden, soll
das Abendland nicht zugrunde gehen und nach einer wahn
witzigen Selbstzerflcischung Europas das Chaos wieder herein
brechen. Der edle Tagore beginnt sein Werk Nationalismus —
ein geradezu prophetischer Ruf über das von Kriegsdünsten und
Schwefeldämpfen schwalendc Abendland — mit den Worten:
„Die Geschichte der Menschheit gestaltet sich nach den Schwierig
keiten, denen sie begegnet. Diese stellen uns Aufgaben, die wir
lösen müssen, wenn wir nicht herabsinken oder zugrunde gehen
sollen.“ Und so ist die Ueberwindung des nationalistischen Ich-
krampfes, der Europa in diesen Höllenschlund des Krieges —
der in Wahrheit noch andauert — hinabgeführt hat, die Auf
gabe, die den abendländischen Völkern gestellt ist, und die
riesengroßen Schwierigkeiten, die sich diesem Ziel entgegen-
stcllen, sind ebensoviele Aufforderungen an uns und alle Völker,
mit heiliger Entschlossenheit an diese Schwierigkeiten heran
zutreten, um ihrer Herr zu werden und sie zu überwinden.
Weder kosmopolitischer Menschheitsbrei, noch nationalistische
Atomisierung und Mechanisierung der Menschheit kann die