Ueber Geschichtsauffassung.
37
schaftsleben ruhig dahinfließt, erscheint das als sehr einfach und
natürlich, wird aber der ruhige Wirtschaftsgang unterbrochen,
dann tritt das künstliche Wesen des Vorganges zutage. Während
des Krieges und später hat mancher zu seiner Verwunderung
erfahren, daß der ideelle Wert eines Gegenstandes zur Befrie
digung eines Bedürfnisses sehr verschieden sein kann von seinem
Werte als Produktionsmittel, wenn er z. B. erlebte, daß er für
kein Geld eine schmackhafte, nahrhafte Mahlzeit kaufen konnte,
um seinen Hunger zu stillen.*)
Indem der Mensch lernte, den Gebrauch seiner Gliedmaßen
durch Verwendung von Gegenständen zu vervollkommnen oder
zu ersetzen, schuf er sich Werkzeuge, die gewöhnlich, aber
— wie wir gesehen haben — irrtümlicherweise, allein als
Produktionsmittel gelten; selbstverständlich können auch diese,
z. B. dem Werkzeugfabrikanten, als Endziele der Arbeit erscheinen.
Der eigentliche Zweck aller Werkzeuge ist die Erleichterung oder
Verkürzung der Arbeit oder die Erzeugung von mehr oder besseren
Arbeitsprodukten, so entstand „das Ideal der Arbeitsersparnis“.
Diese mag sich auf ein, mehrere oder alle Elemente der Arbeit er
strecken, also eine Ersparnis an Zeit, Muskelkraft oder Geistesbetäti
gung sein. Dieses Ideal der Arbeitsersparnis hat zu den größten
Errungenschaften und Wundern der Technik geführt, zu der Ent
wicklung von der Steinaxt zum Dampfhammer und zur hydrau
lischen Presse, von dem Bogen und Pfeil zur neuesten 42 cm
Haubitze oder dem 150 km weit tragenden Geschütze. Durch
diese Vervollkommnung der Werkzeuge sind aber auch noch
ganz andere Resultate erzielt worden, denn sie hat sich als eine
große Gleichmacherin und Ausgleicherin erwiesen, indem sie
schwache Frauen und selbst zarte Kinder instand setzte, dieselben
Arpeitsprodukte wie ein kräftiger Mann in der gleichen Zeit zu
*) In einer späteren Äufsatzreihe finden wir vielleicht Gelegenheit,
von diesem und anderen Ausgangspunkten, die wir noch kennen lernen
werden, unser Wirtschaftssystem zu untersuchen.