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eine wütet mit Sprengstoff gegen D-Züge, der andere meint, es würde
besser, wenn er den Andersgesinnten niederschlägt usw. Das alles
grenzt scharf an Irrsinnigkeit. Sehen wir einmal hinein in eine Irren
heilanstalt und betrachten uns die Methode, nach der man neuzeitlich den
Grad dieser Krankheit feststellt. Den Patienten wird ein sinnfälliges
Theaterstück, z. B. ein Kampfspiel, vorgeführt. Die Ärzte beobachten
scharf, wer gar nicht, wer mäßig und wer übermäßig reagiert. Die
Unheilbaren starren vor wie nach vor sich hin. Ihr Denken ist abge
storben. Sie haben nur noch den tierischen Trieb oder Instinkt. Sollte
es nicht ebenso mit denen stehen, die im politischen Theater teilnahm-
los dahinleben? Bei denen aber, die mäßig reagieren, ist bald volle
Heilung zu erwarten. Im politischen Theater der Wirklichkeit zählt
hierzu der weit größere Teil unseres Volkes. Überall wird heute politi
siert und das ist erfreulich, wenngleich, wie aus der Kundgebung des
Kyffhäuserbundes hervorgeht, viele meinen, daß das Politisieren nur
sog. „klugen“ Leuten zukommt. Wer an einer Sache Interesse hat, der
arbeitet sich auch ein. Nun aber die letzte Gruppe, die Übermäßigen,
die drauf und dran sind, tätlich zu werden, müssen von bereitgehaltenen
Wärtern zurückgehalten werden. Ihre Heilung ist möglich, erfordert
aber noch größeren Aufwand. Auch in der Politik schaden diese Ge
waltmenschen viel. Attentate, Bruderkämpfe usw. sind Affekthand
lungen, die den Wirrwarr nur verstärken und von Unkenntnis zeugen.
Leider befindet sich der besonnene Volksgenosse zwischen zwei gro
ßen Gruppen. Rechts der Nationalismus und links der Marxismus. Es
fehlt die Gruppe des Tatchristentums, die im Mitmenschen Gottes
Ebenbild sieht, und nicht im Mammon, im Besitz, auch nicht wie die
linke Gruppe, die die Rettung von der Vernichtung der Familie, also-
von der Vernichtung der eigenen Nachkommenschaft abhängig machen
will. Noch nie waren die Verhältnisse für das Diesseitschristentum so
günstig als heute. Inzwischen hat das größte Reich der Erde dem größ
ten Götzen der Welt, dem Golde, als Wertmesser die Freundschaft ge
kündigt. Warum? Weil durch die Folgen des Weltkrieges, das Gold,
das bis dahin zum größten Teile in englischen Diensten stand, nach
Amerika und Frankreich auswanderte. Diese „neureichen“ Länder er
warten nun, daß auch England dem Gold so dienen soll, als das früher
gegenüber England der Fall war. Ja, wenn zwei dasselbe tun, so ist
es nicht dasselbe, heißt es auch hier. Der freigeistige Engländer hängt
nicht an fixen Ideen. Ehe er zum Diener wird, lieber läßt er das
kapitalistische System zugrunde gehen. Er geht nicht nach Cannossa,
denn er hat ja genügend Rohstoffe, um sich selbst helfen zu können.
Schon munkelt man von einer Währung auf Grund von Rohstoffen.
Leicht wird es ihnen nicht werden, einen solchen Wertmesser zu finden.
Aber die Verblüffung ist indessen groß, daß das Gold in den Händen
der neuen Besitzer seine magische Kraft verloren haben soll. Hätten
die Apostel und die ersten Christen einen so günstigen Standpunkt
gehabt, als heute die existenzlose Bevölkerung, sie hätten nicht darauf
gewartet, daß andere ihnen Hilfe bringen sollten. Unter blutigen und
brenzlichen Verhältnissen gründeten jene ihre Gemeinden; Und schlossen
sich von unten her zusammen. Sie liefen nicht den sog. „Größen“
nach. An uns, an jedem einzelnen liegt es, eine starke Vereinigung
zu gründen, in der jeder mit bestimmt, indem alle Vertreter in der
Gemeinde gewählt werden müssen. Von unten her werden die Führer
gestellt und nicht von unsichtbarer Hand. Der Verlag ist bereit, einst
weilen Vermittlerdienst zu übernehmen.
Druck: Wilh. Hop
Nachf. / Melsungen