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Kassel. Auch wenn er nach Rück
kehr des Kurfürsten 1814 aus die
sem, von ihm nach eigener Aussa
ge besonders begehrten Amt aus-
scheiden mußte, war er, wie die
Ausleihbücher der Landesbiblio
thek Kassel ab 1826 ausweisen, mit
seinem Bruder Karl treuer Benut
zer der Landesbibliothek. Zumin
dest seit dem Dienstantritt von Karl
Bernhardi als Bibliothekar der Lan
desbibliothek 1830 bestand auch
menschlich, unter anderem wegen
gleicher liberaler Überzeugungen,
ein positiver Grundkontakt zur
Landesbibliothek. Die Landesbi
bliothek Kassel hatte mit einem
Bucherwerbungsetat von 1.200
Reichstalern von 1831 bis 1857 stets
nur in ihren philologisch-histori
schen Kernfächern Neuerschei
nungen in ungenügendem Umfang
kaufen können. Die Bibliothek
wies bei bestem Bemühen des Per
sonals erkennbar viele Lücken auf.
Lag es in dieser Situation nicht na
he, die Murhardsche Stiftung an
die Landesbibliothek Kassel zu bin
den?
Friedrich und Karl Murhard hat
ten an der damals führenden deut
schen Hochschule Göttingen von
1795-1798 bzw. 1797-1799 die mo
dernen Ideen der Aufklärung ken
nengelernt und zu ihren Lebens
grundsätzen gemacht. Sie hatten
sich, überzeugt von der Richtigkeit
der in Frankreich ausgerufenen
freiheitlichen Ideale, mit Begeiste
rung in den Dienst des Königrei
ches Westfalen begeben, „schien
sich doch plötzlich die Gelegenheit
zu bieten, die in der geschichtli
chen Überlieferung gebundene
Heimat im Sinne der über alles ge
schätzten Vernunft völlig neu zu
gestalten” (1).
Beide hatten zu napoleonischer
Zeit positive Erfahrungen mit der
französischen Verwaltungsstruktur
gemacht. Ihre freiheitliche Denk
weise brachte sie von selbst in Op
position mit dem konservativ den-
Wilhehn II., Kurfürst von Hessen 1821-
1847, genehmigte 1830 die Kurhessische
Ständeverfassung, verkündet 1831. Die
Rolle seiner Geliebten, der Gräfin Rei
chenbach, führte u. a. zur Verhaftung von
Friedrich Murhard 1824.
Bildausschnitt aus einem Kupferstich 1831, GhB.LMB
kenden Kurfürsten. Friedrich Mur
hard, aus seinen Ämtern 1814 ent
lassen, wich Anfang 1817 in das
freiere Frankfurt am Main aus.
Dorthin folgte ihm sein Bruder
Karl. Januar 1824 berührte Fried
rich Murhard bei einer Reise kur-
hessisches Gebiet bei Hanau. Er
wurde verhaftet, Anfang August
1824 aus dem Gefängnis entlassen,
durfte aber bis zu seiner Freispre
chung 1827 Kassel nicht verlassen.
Seit dieser Zeit lebten beide Brüder
bis zu ihrem Tode in Kassel.
Die kurhessische Revolution
1830 überraschte die Brüder auf ei
ner Italienfahrt. Die kurhessische
Verfassung von 1831 brachte ihnen
Freiheit von Polizeiaufsicht und
Zensur für etwa drei Jahre, Jahre
reicher Publikationstätigkeit. Da
nach kämpften sie mit ihren libera
len Freunden - die von ihnen be
nannten Testamentswächter gehö
ren ausschließlich dazu - um den
Erhalt der in der kurhessischen
Verfassung zugesicherten Rechte.
Januar 1844 wurde Friedrich Mur
hard noch einmal verhaftet und zu
vier Monaten Gefängnis verurteilt,
aufgrund eines Artikels „Staatsge-
richtshof’ in Rotteck-Welckers
Staatslexikon. Bei diesen Tatbe
ständen war es selbstverständlich,
daß eine Übereignung ihres Privat
vermögens an den Staat 1845 und
1852 trotz der aufgezeigten engen
Beziehungen zur staatlichen Lan
desbibliothek Kassel nicht in Frage
kam.
Die Städte des Kurfürstentums
Hessen besaßen mit Verabschie
dung der Kurhessischen Gemein
deordnung vom 23. Oktober 1834
beachtliche Selbstverwaltungs
rechte. Gemäß ihren Erfahrungen
brachte nur die Übereignung ihres
Vermögens an die Stadt Kassel die
Garantie, daß auf Dauer das ent
behrte leistungsfähige wissen
schaftliche Bibliothekswesen in
Kassel entstehen würde. In diesem
Zusammenhang wird § 15 des