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Jacob Grimm
Von der Wissenschaft hege ich die höchste Vorstellung, alles wissen
hat eine elementarische kraft und gleicht dem entsprungnen wasser, das
unablässig fortrinnt, der flamme, die einmal geweckt ströme von licht und
wärme aus sich ergiefst. Solang es menschen gibt, kann dieser lechzende
durst nach wissen, wie vielfach er gestillt wurde, nie völlig erlöschen.
Eigenheit der elemente ist es aber aller enden hin in ungemessene weite zu
wirken und darum verdriefst es die Wissenschaft jeder ihr in den weg ge
rückten schranke und sie findet sich nicht eher zufrieden gestellt, bis sie eine
nach der andern überstiegen hat. Ihrer unermessenheit zufolge scheint sie
nothwendig unpractisch in der meinung, dafs sie nicht auf irgend ein be
stimmtes ziel einzuengen, sondern der guten fabel ähnlich statt auf einzelne
nutzanwendungen vielmehr auf jeden nutzen gerecht und bei aller gelegen-
heit diensam ist. Dieser reiche unabschliefsende gehalt der Wissenschaft
äufsert sich auch darin, dafs aus ihrem schofse zweige und äste, wie aus der
pflanze entspriefsen und treiben, die sich bald ihr neues gesetz schreiben
und dann gesondert als einzelne Wissenschaften neue frucht bringen, das
beispiel der vergleichenden Sprachforschung soll mir hier zu statten kommen,
die in unsern tagen, in gegenwart und vor äugen dieser academie selbst, sich
eignen weg gebrochen hat, der zu ganz andern ausgängen führt als den von
der alten philologie verfolgten, denn während diese sich nur der classischen
spräche bemächtigte und in deren umfang meisterin war, muste die compara-
tive grammatik ebenwol alle rohen, von jener über die achsel angeblickten
idiome und alle halbgebildeten sprachen in ihren kreis ziehen, wodurch sie
zu ergebnissen gelangte, von denen früher keine ahnung war. Ich scheue
mich nicht hinzuzufügen, dafs in gleicher weise dem betrieb der classischen
mythologie, die sich zur seite unbeachtet liegen liefs was von mythen sagen
und bräuchen aus dem lebendigen volksmunde des gesamten heutigen Euro-
oJU~b *\£ - pas im überschwank zu sammeln steht, bald auch eine vergleichende sagen
{/y JL\}\ forschung sich erzeugen werde, deren ernste resultate nicht blofs einigen
regeln zum correctiv dienen können, die aus dem griechischen und römi
schen alterthum bisher geschöpft und zwar reichströmend, doch allzu einsei
tig abgeleitet waren.
Fragt es sich nun aber im allgemeinen nach dem boden, wo jede ein
zelne Wissenschaft wie alle zusammen wurzeln, was sie zeuge, nähre und
sättige? so wird beständig auf eine innere und äufsere Ursache zu weisen sein,
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