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Längst waren uns spräche und dichtkunst der eignen frühen vorzeit
ausgestorben und nur trümmer sind davon übrig geblieben, die lebensvollen
gediehte des mittelalters drückte träge Vergessenheit; als endlich der staub
wieder von ihnen abgeschüttelt wurde, vermochten sie nicht mehr warm an
das volk zu treten, aus dessen äugen das bild einer groszen einheimischen
poesie entschwunden gewesen wäre, hätten es nicht plötzlich zwei fast un
mittelbar am horizont des vorigen Jahrhunderts aufleuchtende gestirne her
gestellt und unsern stolz von neuem emporgerichtet, ohne sie hätte unsere
literatur doch nur niedere stufen einnehmen können, durch sie ist sie zu den
höchsten erhoben worden, nach langem ausruhen brachte die natur diese
beiden genien hervor, deren glanz sich über die grenzen ihres Vaterlandes,
über das gesamte Europa ausbreilet, das ihnen nichts mehr an die seite zu
stellen hat; ihre werke sind bereits vorgedrungen in alle sprachen, denen
heute die macht lebendiger, ausgebildeter rede beiwohnt, was braucht es
mehr?
Göthe und Schiller stehen sich so nahe auf der erhabnen stelle, die
sie einnehmen, wie im leben selbst, das sie eng und unauflöslich zusammen
verband, dasz unmöglich fiele in der betrachtung sie von einander zu tren
nen. zwar geht Göthe an alter seinem genosz um zehen Jahre voraus und
überlebte den zu früh geschiednen noch zwanzig Jahre hin. nachdem, wie
zu geschehen pflegt, sie erst eine zeitlang sich nicht näher getreten und fast
aus dem wege gewichen waren, wurde ihr beisammensein wiederum ein vol
les Jahrzehend desto vertrauter und gewissermaszen sich bedingend, hatte
Göthe anfangs Schillers treibende kraft gemieden, dieser in Jenes ruhe sichnicht
gleich finden können, so äuszerten hernach beide in ergibigster fruchtbarkeit
ihrer werke begriffen, wechselsweise förderlichen, für unsere literatur den
heilsamsten einflusz aufeinander, in vielem einverstanden oder auch sich
verständigend wandelte Jeder von ihnen seine eigne bahn, und Je sichtbarer
diese abwichen desto mehr ist ihnen gelungen sich auf das erfreulichste aus
zufüllen und zu ergänzen.
Selten wol flieszen dem beobachter eines groszen dichterlebens so
nachhaltige und ungetrübte quellen wie für sie beide, nicht nur in ihren
manigfachen werken ist eine fülle von aufschlüssen über das was sie bewegte
enthalten, sondern ihre briefe, die man der weit mit vollem fug nicht ver
sagt hat, gewähren die lautersten und willkommensten bekenntnisse. in
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