Full text: Rede auf Schiller

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Des unsterblichen sängers uns schon in Vorahnungen einigendes anden- 
ken zu feiern ist die aufgabe. wer die geschickte durchforscht musz die poesie 
als einen der mächtigsten hebel zur erhöhung des menschengeschlechts, ja als 
wesentliches erfordernd für dessen aufschwung anerkennen, denn wenn jedes 
Volkes eigenthümliche spräche der stamm ist, an dem alle seine innersten kenn- 
zeichen sich darthun und entfalten, so geht ihm erst in der dichtung die blüte 
seines wachsthums und gedeihens auf. poesie ist das wodurch uns unsere sprä 
che nicht nur lieb und theuer, sondern woran sie uns auch fein und zart wird, 
ein sich auf sie nieder setzender geistiger duft. eines Volkes spräche, wel 
chem keine dichter auferstanden sind, stockt und beginnt allmälich zu wel 
ken, wie das volk selbst, dem solche begeistrung nicht zu theil ward, zu 
rückgesetzt und ohnmächtig erscheint gegenüber den andern sich daran er 
freuenden. der einzelne dichter ist es also, in dem sich die volle natur des 
volks, welchem er angehört, ausdrückt, gleichsam einfleischt, als dessen ge- 
nius ihn die nachweit anschauen wird, auf den wir mitlebenden aber schon 
mit den fingern zeigen, weil er unsere herzen gerührt, unsern gedanken 
wärme und kühlenden schatten verliehen, einen des lebens geheirnnisse auf 
drehenden Schlüssel gereicht hat. diese Sätze sind genau und nichts läszt 
sich davon abdingen, doch ruht aller nachdruck im heimischen grund und 
boden, dem sich kein auf ihm geborner mensch entzieht und den fremde 
fusztritte entweihen, fremde dichter können uns lange gefallen, sie waren 
aber immer noch nicht die rechten, und sobald der rechte in unsrer mitte 
erschienen ist, müssen sie weichen, auf weltbürgerlicher stelle mag ich be 
wundern was das ausland, was das alterthum erzeugte, von kindesbeinen an 
stehen uns griechische und römische muster als mahner oder hüter zur seite, 
sie dringen uns das ungeheuchelte bekenntnis ab, dasz nichts darüber hin 
ausgehe, und doch fühlen wir unermeszliche zwischen ihnen und den forde- 
rungen unsers eignen lebens zurückbleibende kluft. einer unsrer alten dich 
ter, als er eben die herlichkeit vergangner, nie wiederkehrender zeit ge 
schildert hat rutt aus: ich möchte doch nicht dabei gewesen sein, wenn ich 
jetzt nicht wäre! damit erkennt er das recht und den Vorzug der gegenwart 
an, die uns zu anderm hintreibt, zu anderm rüstet und wafnet, durch ande 
res erhebt und erstärkt als die Vergangenheit, wer wollte den alten dich 
tem anhängen, wenn er die neuen um sie müste fahren lassen?
	        

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