Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Dr 215
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kühnheit und zurückhalten, alles ist vorhanden, hierin kommt ihm Schiller
nicht bei, der fast nur über ein ausgewähltes heer von Worten herscht, mit
mit dem er thaten ausrichtet und siege davon trägt; Göthe aber vermag der
schon entsandten fülle seiner redemacht aus ungeahntem hinterhalte wie es
ihm beliebt, nachrücken zu lassen, man könnte sagen, Schiller schreibe
mit dem griffel in wachs, Göthe halte in seinen fingern ein bleistift zu leich
ten, kühnschweifenden zügen. an Schiller klebten, in seiner ersten zeit,
auch noch einzelne schwäbische provinzialismen, die unerlaubt im reinen
hochdeutsch sind, bei Göthe ist dergleichen nie sichtbar, er schaltet in der
Schriftsprache königlich, seine prosa wird zum mustergültigen canon und
bleibt selbst im canzleimäszigen hofstil, den er in alten tagen allzu oft anwen
dete, gefüg und geschmeidig, seine poesie gibt bei jedem schritt überall die
reinste ausbeute, für die bearbeitung des deutschen Wortschatzes ist es gar
nicht zu sagen wie viel aus ihm allenthalben geschöpft und gewonnen wer
den könne oder müsse.
Eben darin, dasz Schiller in etwas engerem kreise der spräche sich
bewegt, liegt doch sein stärkerer einflusz auf das volk mitbegründet, denn
seine rede weisz alles was er sagen will zierlich ja prachtvoll auszudrücken und
wird genau verstanden, von Göthe bekommt man auch einige freilich echte,
grunddeutsche, aber vorher unvernommene Wörter, die der menge noch
nicht geläufig waren, zu hören, was seinem stil etwas vornehmes verleihen
kann und dennoch hat er einigemal ohne noth und hart geklagt über die sprä
che gerade an stellen, wo er sie am glücklichsten handhabt. Schiller hielt
in ihr völlig und glänzend haus, er wüste lauteren saft aus ihr zu ziehen.
Es sind aber noch andere gründe, weshalb er den leuten zusagt, er
versteht sie zu sich zu erheben, während Göthe sich auch zu ihnen herab
lassen kann, bei Schiller, dem auf seiner höhe thronenden, glauben sie sich
empor gerückt, diesem dichter blieb das alterthum unsrer spräche und
poesie, mit allen jetzt verlornen Vorzügen fremd, wie das bekannte von ihm
über die minnesänger gefällte grundlose urtheil darlegt; er hat sich untadel
haft blosz an der heutigen Schriftsprache grosz erzogen, deren macht er so
bedeutend steigerte, seine lieder halten durchaus den stil der gebildeten
gegenwart und stehn auf deren gipfel, was dem volk gefällt, dem gleichfalls
die alte weise der Vergangenheit fremd geworden ist und das nur in den jetzi
gen standpunct vorschreiten und sich darin einweihen lassen will, ein leb-