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können brauchen, auch eine früher gewollte Nausikaa kam nicht zum ersten
angrif. von Schiller ist zwar berichtet, dasz er epische gedichte zu ver
suchen gedachte, bald Friedrich den groszen, hernach Gustav Adolf besingen
wollte, er hat nicht einmal hand angelegt, wol aber nicht unterlassen seinen
freund zu Hermann und Wilhelm Meister aufzumuntern, über dessen anlage
und abfassung der briefwechsel beider dichter reichliche mittheilung enthält.
Was soll man von dem groszartigsten aller gedichte Göthes überhaupt sagen,
das zu gewaltig ist, um in irgend einen andern rahmen zu gehen? ich meine
Fausts ersten theil, den er selbst nicht zu vollenden vermochte, wie er begon
nen war, und welchen die fernste nachweit anstaunen wird; für ihn gibt es
keine regel als die selbeigne, in ihm mangeln auch höhere dramatische kunst
und Vollendung nicht, es ist aber auch einzusehen, dasz in den göthischen
romanen, an die wiederum ihr eigner maszstab will gelegt sein, namentlich
im Meister und in den Wahlverwandtschaften, die erzählung von kunstreich
und lebendig, beinahe wie im drama waltenden elementen gestützt und
getragen groszen aufwand und gelenksamkeit der Verwickelungen entfaltet,
obschon ein epischer ton vorherscht, von dessen anmut in Schillers geister-
seher so gut wie gar nichts zu spüren war. Vorhin wurde in Schiller der
sentimentale, in Göthe der naive zug angenommen, womit Zusammenhängen
dürfte, dasz jenem im voraus die darstellung von männern, diesem die der
frauen gelingt, eben weil die frau gern naiv oder nach Kants ausdruck em
pfindlich bleibt, der mann leicht empfindsam wird, mit Gretchen, Käthchen
der Mignon und Ottilie läszt sich nichts bei Schiller vergleichen, der hoch
die würde der frauen sang, wogegen Göthes Egmont, Brackenburg, Meister,
Eduard schwächere naturen sind als Wallenstein und Teil, daher rührt,
dasz frauen stärker von Schillers männern, männer von Göthes frauen sich
angezogen fühlen, überhaupt betrachtet erscheint das tragische talent in
Schiller entschiedner und gröszer als in Göthe, der .vielleicht, wenn er sie
hätte anbauen wollen, zur komödie bedeutendes geschick gehabt hätte.
Bei Göthe fiberwog die anziehungskraft der natur und er hat auf pflan
zen, steine, thiere und auf die physiologie insgemein lange, ernste Studien
gerichtet, die farbenlehre muste ihn mitten unter philosophen und natur-
forscher leiten, die hier seinen beobachtungen und ergebnissen fast zu wenig
einräumen. Schiller dagegen, obgleich er anfangs medicin studiert und
getrieben hatte, was nicht ohne einflusz auf seine entwicklung blieb, fühlte
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