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Man kann alle philologen, die es zu etwas gebracht haben, in solche
theilen, welche die worte um der Sachen, oder die Sachen um der worte
willen treiben. Lachmann gehörte unverkennbar zu den letztem und ich
übersehe nicht die grofsen vortheile seines standpuncts, wenn ich umgedreht
mich lieber zu den ersteren halte, denn jeder wird eingeständig sein, dafs
die form mit dem wesen einer schrift und gar eines gedichts innig Zusam
menhänge und auf allen fall der eines grofsen theils ihres wahren gehalts
sicher habhaft werde, dem es in diese form einzudringen gelungen sei, wäh
rend rücksicht auf die Sache selbst von der eigenheit einzelner werke abzu-
sehn und bienenartig auf den honig bedacht zu sein pflegt, der aus mehrern
zusammen gesogen werden soll. Nicht dafs es Lachmann an manigfaltigster
sachkentnis irgend abgieng, deren sein aufserordentliches gedächtnis stets
für ihn eine menge bereit hielt und die ihm bei ausgedehnter belesenheit
täglich anwuchs; allein seit er seinen wahren, eigentlichen beruf erkannte
(und das mufs bereits frühe eingetreten sein), haftete bewust oder unbewust
seine theilnahme an den Sachen nur insofern er daraus regeln und neue griffe
für die behandlung seiner texte schöpfen konnte: das übrige blieb als stö
rend und aufhaltend ihm zur seite liegen. Da nun diese richtung seines gei-
stes, durch ihre eignen erfolge gestärkt, allmälich zunahm, musten andere
arbeiten oder thätigkeiten, jemehr sie von ihr abstanden, für ihn gleichgül
tiger und unerfreuender werden. Von Beneke hörte ich zu Göttingen einige
mal behaupten, ein bibliothecar (und er selbst war ein vortreflicher) gehe
verloren, sobald sich in ihm ausschliefsliche neigung für bestimmte fächer
der Wissenschaften erzeuge; in solchem sinn liefse sich von strengen philo-
logen sagen, dafs sie alle aufmerksamkeit auf den reinen text kehrend, ihren
geschmack dafür an Sacherklärungen gleichsam sich zu verderben scheuen,
pflicht ist ihnen das gesicherte wort aufzustellen, liege nun darin, gehe dar
aus hervor w r as da wolle.
Laut und beifallswerth hat sich auch Lachmann darüber ausgespro
chen, dafs die doctrin in der philologie wäe in andern Wissenschaften scha
den anrichte, wenn sie immer vor der zeit fertig machen wolle und gerade
nur so viel wahre und falsche grundsätze untereinander entfalte, als sie aus
zusinnen und zu verarbeiten ertrage, da doch die unerschöpften quellen eine
überströmende ausbeute gewähren, deren man sich vor allem bemächtigen
mufs, ohne gleich auf alle fragen zu antworten, ohne jede daraus entsprin-