über den Ursprung der spräche.
35
tilgenden und mängel unserer natur an sich trägt. Ihre gleichförmigkeit
wäre völlig undenkbar, da dem neu hinzutretenden und nachwachsenden ein
Spielraum offen stehn muste, dessen nur das ruhig fortbestehende nicht bedarf.
Im langen, unabsehbaren gebrauch sind die Wörter zwar gefestigt und geglät
tet, aber auch vernutzt und abgegriffen worden oder durch die gewalt zufäl
liger ereignisse verloren gegangen. Wie die blätter vom bäum fallen sie von
ihrem stamm zu boden, und werden von neuen bildungen überwachsen und
verdrängt: die ihren stand behaupteten, haben so oft färbe und bedeutung
gewechselt, dafs sie kaum mehr zu erkennen sind. Für die meisten einbu-
fsen und Verluste pflegt aber beinahe auf der stelle und von selbst sich ersatz
und ausgleichung darzubieten. Das ist das stille äuge jenes hütenden sprach-
geistes, der ihr alle wunden schnell heilt und vernarben läfst, alle ihre an-
gelegenheiten ordnet und vor Verwirrung bewahrt, nur dafs er einzelnen spra
chen seine höchste gunst, andern geringere erwiesen hat. Das ist auch,
wenn man will, eine naturgrundkraft, die aus den uns angebornen, einge
pflanzten urlauten unerschöpflich hervorquillt, dem menschlichen Sprachbau
sich vermählt, jede spräche in ihre arme schliefst, doch jenes lautvermögen
steht zum sprachvermögen wie der leib zur seele, welche das mittelalter
treffend die herrin, den leib den kämmerer oder das kammerweib nannte.
Von allem was die menschen erfunden und ausgedacht, bei sich ge
hegt und einander überliefert, was sie im verein mit der in sie gelegten und
geschaffenen natur hervor gebracht haben, scheint die spräche das gröfste,
edelste und unentbehrlichste besitzthum. unmittelbar aus dem menschlichen
denken empor gestiegen, sich ihm anschmiegend, mit ihm schritt haltend ist
sie allgemeines gut und erbe geworden aller menschen, das sich keinem ver
sagt, dessen sie gleich der luft zum athmen nicht entrathen könnten, ein
erwerb, der uns zugleich leicht und schwer fällt. Leicht, weil von kindes
beinen an die eigenheiten der spräche unserm wesen eingeprägt sind und wir
unvermerkt der gäbe der rede uns bemächtigen, wie wir gebärden und mienen
einander absehn, deren abstufung endlos ähnlich und verschieden ist gleich
der der spräche, poesie, musik und andere künste sind nur bevorzugter
menschen, die spräche ist unser aller eigenthum, und doch bleibt es höchst
schwierig sie vollständig zu besitzen und bis auf das innerste zu ergründen.
Musik aus todtem instrument geweckt, mit ihrem schweifenden, glei
tenden, mehr gefühlten als verstandnen ausdruck, steht der alle gedanken
F