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Jacob Grimm
lern recht eine Weltsprache heifsen und scheint gleich dem englischen volk
ausersehn künftig noch in höherem mafse an allen enden der erde zu walten.
Denn an reichthum, Vernunft und gedrängter fuge läfst sich keine aller noch
lebenden sprachen ihr an die seite setzen, auch unsre deutsche nicht,
die zerrissen ist wie wir selbst zerrissen sind, und erst manche gebrechen
von sich abschütteln müste ehe sie kühn mit in die laufbahn trätej^ doch
einige wolthuende erinnerungen wird sie darbieten und wer möchte ihr die
hofnung abschneiden? Die Schönheit menschlicher spräche blühte nicht im
anfang, sondern in ihrer mitte; ihre reichste frucht wird sie erst einmal in
der Zukunft darreichen.
Wer aber kann dieser zukunft heimliche wege alle spähen? einer grofsen
weltordnung angemessen war, dafs im lauf der Zeiten dichte wälder w r ichen
vor rankenden reben und mehltragenden halmen, die beim anbau des erd-
bodens immer breitere strecken einnahmen; so auch scheinen unter ausein
ander gelaufenen, im weiten raum zerarbeiteten, später sich wieder berüh
renden sprachen endlich nur solche des feldes meister zu werden, die
nährende geistesfrucht gebracht und geboren hatten. Und statt dafs von
den stufen jenes babylonischen thurms herab, der gen himmel strebte, wie
es aegyptische pyramiden, griechische tempelhallen und der Christen ge
wölbte kirchen auch thun, alle menschensprachen getrübt und zerrüttet aus
getreten sein sollen, könnten sie einmal, in unabsehbarer zeit, rein und lau
ter zusammen fliefsen.
Nicht starr und ewig wirkendem naturgesetz, wie des lichts und der
schwere, anheim gefallen waren die sprachen, sondern menschlicher freiheit
in die warme hand gegeben, sowol durch blühende kraft der Völker geför
dert als durch deren barbarei niedergehalten, bald fröhlich gedeihend, bald
in langer, magerer brache stockend. Nur insofern überhaupt unser ge-
schlecht am widerstreit des freien und nothwendigen unausweichlichen ein-
flüssen einer aufserhalb ihm selben waltenden macht unterliegt, werden auch
in der menschlichen spräche Vibration, abdämpfung oder gravitation dürfen
gewahrt werden.
Wohin uns aber ihre geschichte den blick aufthut erscheinen leben
dige regungen, fester halt und weiches, nachgibiges gelenk, farbige manig-
faltigkeit, ungestillter Wechsel, der noch nie zum letzten abschlufs gelangen
liefs; alles verbürgt uns, dafs die spräche werk und that der menschen ist,