©Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Dr 205
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18 Jacob Grimm
nach von Moses zerbrochne steintafel geschrieben habe? die heilige Schrift
die wir gottes wort nennen, ist uns ehrwürdig durch ihr hohes alterthum
und die edle einfachheit ihrer darstellung; allein wer sie auch zuerst abfafste
stand von dem anfang der Schöpfung bereits allzuweit ab, als dafs er anderes
als bild und sage davon mit zu theilen vermocht hätte, was von der heid
nischen sage jeder allenthalben zugesteht, mufs er auch für die des A. T.
ein zu räumen wahrheitliebend und besonnen sein. Arnobius eifert mit
schlagenden gründen wider das heidenthum, ohne zu ahnen, dafs manche
derselben auch gegen die neue lehre gebraucht werden können.
Das Verhältnis gottes zur natur beruht auf gleich festen, unerschüt-
terbaren gesetzen w r ie die bande der natur unter sich, und da diese ihr ge-
heimnis und wunder nur in sich selbst, nicht aufser sich tragen, so mufs
jedes nicht natürliche mittel von ihnen ausgeschieden sein, ein geheimnis,
bei dem es unnatürlich hergienge, gibt es nicht. (*)
Es mag auffallen, dafs weder das griechische noch indische alterthum
versucht haben die frage nach dem Ursprung und der manigfaltigkeit mensch
licher zungen zu stellen und darauf zu antworten, die heilige Schrift strebte
wenigstens das eine der beiden räthsel, das der manigfaltigkeit durch den thurm
von Babel zu lösen. ich kenne nur noch eine arme estnische volksage,
welche dieser lösung sich etwa an die Seite stellen liefse. Der alte gott, als
den menschen ihr erster Wohnsitz zu eng geworden war, beschlofs sie über
den ganzen erdboden auszubreiten, jedem volk auch eine besondere spräche
zu ertheilen. in dieser absicht stellte er einen kessel mit wasser zum feuer,
liefs die einzelnen Stämme der reihe nach heran treten und für sich die töne
entnehmen, welche das eingesperrte und gequälte wasser singend hervor
brachte. Hier also wurde den menschen wo nicht ihre erste, wenigstens eine
neue spräche durch die naturlaute eines elements überwiesen.
( 1 ) Lessing (sämtl. Schriften 10, 4. 5) bemerkt zu einem aufsatze Jerusalems über den
Ursprung der spräche, dafs die spräche durch ein wunder dem ersten menschen nicht mit-
getheilt sein könne, darum der mensch sie noch nicht erfunden zu haben brauche; im
Umgang mit höheren geschöpfen, durch herablassung des Schöpfers selbst könne sie ge
lernt worden sein, was einige Wahrscheinlichkeit gewinne dadurch, dafs die menschliche
erfmdung lange Jahrhunderte gedauert haben müsse und des Schöpfers güte den armen
doch nicht so lange die spräche entzogen haben werde, alle solche Voraussetzungen sind
sichtbar ohne boden.