12
Jacob Grimm
Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Dr 205
tOÜl duJl Uma) a&£k&iync
Ort a*-£ 8** Ki*&J
tjhpÄ <>t£ b+\
oUrj(o>f? vh>m* TfcV}
tt-rfA O^Ud^. ^ ^ f#;8Ue ^
geU,Wvm$ ^ ^ W
Johannes Müller hat uns neulich die kehlen einiger Singvögel scharf
untersucht und darin nachgewiesen was ihren gesang hebe und zeuge, ich
weifs nicht, ob es möglich wäre, dafs die Zergliederung auch in den aus
gebildeten kehlen menschlicher sänger eindrücke gewahrte, die eine grofse
entwickelung der gesangsfähigkeit verkündigten; oder um noch stärkeres zu
fragen, ob es dem anatom gelänge, in den sprachorganen solcher Völker,
die entschieden harter gutturale pflegen oder wie die Slaven schwere
Zischlautverbindungen eingeübt haben, äufsere spuren davon aufzuweisen,
wäre das der fall, so würde ich nicht abgeneigt sein, weil solche eigenthüm-
lichkeiten sich vererben können, wie einzelne gebärden und schulterdrehun-
gen unbewust vom vater auf den sohn übergehn oder geschwister häufig
dieselbe anlage zum gesang empfangen haben, (*) ich würde also geneigt sein,
schon in den kinderkehlen einzelner Völker eingeprägte anlage für die aus-
sprache eigner lautbestimmungen vorhanden zu glauben, so dafs jenem in
Deutschland zur weit gekommenen Russen oder Franzosenkind immer noch
einige unserer laute schwer gefallen wären. Dies ergäbe das gegenstück
zur thierischen beschränkung der nothwendigkeit durch die freiheit, insofern
hier umgekehrt die menschliche sprachfreiheit durch einen zug der nothwen
digkeit beeinträchtigt schiene, den sie doch leicht überwindet. Die anato-
mie wird noch lange zu lernen haben, ehe sie die sprachwerkzeuge eines auf
der ebene eingewohnten Norddeutschen von denen eines süddeutschen al-
penhirten unterscheidet. Unserm hauptergebnis aber, dafs die menschliche
spräche unangeboren sei, wird nichts dadurch benommen, die natürliche
lautgrundlage, deren sie gleich der thierischen stimme bedarf und die sie
voraus setzt, wie unsre seele den menschlichen schädelbau, sind nichts als
das instrument, auf dem die spräche gespielt wird, und dies spiel erzeigt
sich beim menschen in einer manigfaltigkeit, die den unveränderbaren thier
lauten völlig entgegen steht. Den physiologen wird doch mehr das instru
ment selbst, den philologen das spiel darauf anziehen.
Nun aber wurde aufser der eben verworfnen angeborenheit der sprä
che noch eine andre annahme als denkbar voraus gesetzt, dafs sie von des
menschengeschlechts Urheber diesem zwar nicht unmittelbar im act der
Schöpfung, vielmehr nach der Schöpfung mitgetheilt, durch das menschliche
(*) man nimmt selbst wahr, dafs geschwister ähnlich niesen.