Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Dr 204
ÜBER DEN LIEBESGOTT.
IWMVWI^VWIWM
y«
or anderthalb jahren entwarf uns in behenden, gedrängten zügen, wie
er sie zu liefern pflegt, Gerhard den griechischen Eros, denen ich wenig an
zufügen oder abzubrechen hätte, läge mir nicht im sinn, die dabei ganz zur
seite gelassenen Vorstellungen anderer Völker, namentlich unsers eignen alter-
thums vorzuführen und nachzuholen; es zieht an ihre einstimmung zu ge
wahren und kann sein, dafs ihre beschaffenheit auch auf den griechischen
mythus einiges licht fallen lasse und ihn näher entfalten helfe. Ich unter
scheide mich aber von meinem Vorgänger wesentlich darin, dafs mir gar keine
bildwerke zur stütze dienen, deren reiche fülle ihm allenthalben handhaben
darbot: denn kaum gibt es überhaupt altdeutsche götterbilder, und den
längst verschollnen gott, welchen ich neu aufrichte, muste ich, wie man sagt,
erst wieder mit nägeln aus der erde graben. Aber gleich den philologen,
die gar nichts ohne noten schreiben, können die griechischen archäologen
keine abhandlung geben ohne bilder, und doch, dünkt mich, würde ein
ideal sprachlicher und mythologischer Untersuchung eben alle anmerkungen
und bilder schon entbehren, die bildende kunst ist verführerisch, und wenn
sie anfangs unbeholfen auftrat, getreu am typus haftete, geht sie allmä-
lich ihrer macht sich bewust werdend ganze schritte über ihn hinaus und
mehr einer wolgefälligen Schönheit der gestalten nach, dort erreicht sie den
gehalt des mythus nicht, ohne ihn zu entstellen; hier will sie ihn abändern und
für sich gerecht machen, auch die dichter schalten nach willkür, allein der
durch das ohr zum geist dringenden poesie steht eine ungleich freiere macht
des ausdrucks zu gebot als der stumm ins äuge fallenden kunst und ihre quelle
fliefst sowol voller als lauterer. Es soll damit ungesagt sein, dafs wir nicht
eifrig aus den blühenden werken der kunst wie den minder anschaulichen der
poesie zu schöpfen hätten; am aller wenigsten wollte ich meiner vielleicht
A