Full text: Über den Liebesgott

©Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Dr 204 
©crButtbeSratß mirb morgen, ©omterfiag, eine {picitar* 1 
ftßmtg galten. Auf ber SageSorbnung fielen gefcßäftlide SRit* 
Teilungen, ©ntmurf eines ©efeßeS ‘megen geftftellung eines 
gruetten Rad)tragS gum 5Reidb@I>au^f>aItöetat für 1889/90; AuS* 
fdlußberidte über SnerJemutng verjd)iebener Rcdte an bie 
Kameruner ßanb* unb {piantagen*©eieltfdaft, über ©ingaben, 
fornie über Einträge megen Befeßung ven vier RatbSftellen beim 
Reid3gerid)t unb ©efdäftlidieS. — Sie man hört, mirb ber, 
bie Kofteit ber Sißmann’fdjen ©ppebition betreffettbe gmeite 
RadtragSetat jo fdjneH burd bie ^luöjdjüffe edebigt Serben, 
baß bevfelbe fc^ou in ber nädfien Sode bem Steid^taae vor* 
liegen bann. _____ 
©er Reid)Stag braute bie gange heutige ©ißung, bie 
abermals Anträgen aus bem Haufe gemibmet mar, nod) mit 
ber gortfeßung ber Vorgeftern abgebrochenen ©ebatte über ben 
Antrag Ridert gu, meiner bie verbünbeten Regierungen er* 
fudjen mollte, ben Beamten eingufdärfen, baß fte bie gum 
©dttß ber Saßlfreiljeit beftehcnben gefeßlidett Be* 
flimmimgen in S^nft genau beobachten. Abg. Ridert er* 
ging ftd in einer fel)r heftigen ©rmiberung gegen bie neulidjen 
Reben beS babifden BunbcSbeVollmädtigten 0. SRarfd^aU unb 
beS Abg. giefer. ©ie Ausführungen über bie babifeße „SRiß* 
mirtßfdaft", über melde bem einftmeilen nod in einem Sraum 
befangenen babifden Bolfe aud) einft bie Singen aufgeben 
mürben, veranlagten Herrn v. SRarfdall, nodmald bic©ruub* 
lofigfeit ber Ridetffden Behauptungen gu beleuchten. Sind) 
bie Slbgg. Hegel unb 9Rüller*9Rarienmerber traten ben 
Ridetffden Ausführungen, fornie feinem Slntrag entgegen, ©ie 
miefen barauf bin, baß biefe Ausführungen ftd) tßeifmeife auf 
unermiefene Behauptungen ftüßen, baß aber bie mirtiid) feftge* 
[teilten SSerftöge gegen bie Saßlfreißeit ben Regierungen bereits 
gur Kenntniß gebrad)t feien, ©djließlicß mürbe bie vom Slbg. 
9RüUer*9Ranenmerber beantragte motivirte SageSorbnung 
gegen bie Stimmen ber ©eutfebfreifinnigen, beS Zentrums, ber 
©ogialbemof raten unb {Polen angenommen, ber Slntrag Ridert 
bamit befeitigt. ©oitnerftag: ©tat. 
Anläßlich ber geftrtgen ©rörterung im ReidStag über baS 
bürgerlid)e ©efeßbudj bringt bie „Rorbb. Ailg. 3tg." 
einen SlrtiEel, an beffen ©d)luß eS I)ei^t: 
Bei einer foldjen, bem ©ntmuvfe gemibmeten Sßätigfeit barf 
man begügltd) be$ fd)Xiegltcf)en 3uftanbefontmenS beS SerfeS bej 
rut)igt fein, memt aud) bei ber befonbereit ©eßmierigfeit berfelben 
ein beftimmter S^itpuuft nid)t in AuSftcßt genommen merben 
faun. ©otnel aber ift fd)oit beute ftd)?r, baß bie theorettjehen 
Streitigkeiten ber Dtomamften unb ©erntaniften, melcße anläßlich ber 
Beröffeutltclntng beS ©ntnmrfS neue Raßrung gemonnett haben, auf 
bie meitere Beßanblung unb auf ben Abfd)luß berfelben feinen 
befonbereit ©inflttß babeit merben. ©§ ftnb ©rmäguugen fachlüßer 
Slrt unb bie thatfäd)lichen Bebürfniffe be§ BolfeS, meldie für bie 
(Beftaltuug beS bürgertidjen Red)t§ ntaßgebcnb fein muffen, unb 
nirf)t ber Streit ber ©cßuleit, beffen ©nbe überhaupt nicht abgu* 
feben ift. (Gegenüber ben ©arlegungen bc§ ©taatSfefretärS beS 
Reid)§*3uftigamtS erfdjeiueit bie von verfd)iebenen ©eiten geäußerten 
Smeifel, ob überbaupt baS Sßerf in abfebbaver Seit gu Grube ge 
führt merben bürfte, hinfällig, uttb baS ©rgebniß jener SluSeiit- 
anberfe^ungeit als ein erfreuliches, ivelcbeS bie bem ©ntmurfe gc- 
mibmete vielfeitige ^hntigfeit nur gu fieigent geeignet ift. 
33efanutlicb gehört bie Unfallverhütung gu ben Stuf* 
gaben ber SSerufSgeitoffenfdbafteit, ber bei meitem größte 
St)eil berfelben bot Vom Reidts4Seiftd)eiungSamte genebmigte 
UnfallverT)ütungSvorfd)viften erlaffeit. $anb tit $aub hiermit 
gebt bie Steigerung ber SluSgabeit, melcbe bie S3erufSgeitoffen= 
frfjflfbn gur Uebermadning ber gu ihnen gehören ben S3etrtebe 
aufmenbeit. ©iefe Uebermad)ung kamt foivobl von ben SBer* 
trauenSmäitnern, als aud) von befonbereit ^Beamten, ben 
fogeuannten Beauftragten, vorgenontmett merbeit. 3m 
3al)re 1886 batten bie bantals in gmtftion befmblid)en 
62 gemerblid}eit BerufSgenoffenfcbaften nur 39, im 
Sabre 1887 bereits 79 unb im 3^rc 1888 124 
aufiragte. ©ie ©efammtauSgaben, meldje bie 62 burdb bie 
©efdte Vom 6. Sult 1884 unb 28. ?07at 1885 gefdjaffenen ge* 
merblicbeit BerufSgenoffenfdbaften tn ben genannten bret Sabren 
für bie Unfallverhütung aufgemenbet haben, betrugen im Sabre 
1886: 69 933,35 3Rarf, 1887: 361588,61 SRarf unb 1888: 
327 249,51 ffiRarf. ©te Benninberung ber ©umnte für 1888 
Eornrnt baber, baß bte SRüllerei^BcrufSgenoffenfcbaft tbre aller* 
bingS aitßerorbentlid) hoben Äoften für Unfallverhütung bcS 
SabveS 1887 auf ein Siebentel rebugitt bat. ^eben mir bie 
3al)len für bie TOüHerei=BerufSgenoffenfd)aft aus ben ©dämmt* 
fummeit für 1887 unb 1888 b^auS, fo erhalten mir für baS 
elftere Sabr 158 254 9Rf. unb für baS leßtere 297 704,82 9Rar!. 
©ie Äomutiffion gur Borbcratbuitg über bie gerbet* 
fübruitg gemeinfamer ©ruitbfä^e bei ber ©ettebmtgung 
unb Revtfion von ©ampftejfein bat mäbrenb ber lebten 
Sage unter Borft^ beS ©eb. DberregierungSratb^ ßobmann im 
ReidSamt beS S»«ern Verfd)iebene .#onfereitgen abgebalten unb 
am ©ienftag tbre Beratbungen gejcbloffen. ©S banbelte fid) 
babei um (Erörterungen ber grage, ob eS nicht möglich ift, baS 
gefammte ©efeßgebungS* unb BerorbitungSgebiet, baS fid) auf 
bie ©ampffeffel begiebt, alfo nicht bloS bie ©ampffeffelanlagen, 
fonbern aud) bereu Revifionen betrifft, Von Reid)Smegcn ober 
meuigftenS einheitlich gu regeln. 3«r Seit ftnb gemtffe grageit, 
mie bie ber ^ongcffionSpflicbtigEeit bitreb bie ©emerbeorbnmtg, 
bie ber Shtleguttg von ©ampfteffeln einheitlich burd) BuitbeS* 
ratbSbefcbluß georbitet, mäbrenb eine gange Reibe anberer unb 
unter ihnen bie grage ber Revisionen von ©eiten ber ßanbeS* 
regieriutgen erlebigt merben. 
©ie grage ber (Erneuerung ber öanbelSVerträge 
mtrb bie neitgemäblte fraitgöftfd)e Kammer vielfad) befd)äf* 
ttgen; fte bat aud) in bte lebten äßablen biaeingefpielt, jebod) 
fetneSmegS fo ftarf, als bieS in ©eutfdlanb ber gaü gu fein 
pflegt, ©djußgöllner unb greibänbler fteben ftd) gmar and) in 
granfreid gegenüber unb namentlich machen ftd) and) agvarifdje 
Beftvebmtgen ftarf geltenb, baS ^)avteileben mirb inbeffen ba* 
burd) mir geftreift. ©aS SJHnifterium Sirarb * (EonfianS ift 
anfebetnenb noch nid)t bagu gefommen, ftd über feine Haltung 
gegenüber ben ^aitbelSVerträgen fcblüffig gu machen. SSeuigftenS 
fcheint bieS auS ben Bemerfiutgeit hervorgugeheit, melde eine 
neue infpirtrte ^vtrifer ©timme in ber „$). Ä." vorträgt. ©S 
heiß; bafelbft: 
,,©ie grage ber ©nteitcruttg ber $aubclSVet*Vertäge, tvclche fafi 
alle envopäifd)en Regierungen be|d)äftigt, mirb auch itt $ariS leb 
haft erörtert. Befauntlid) erlöfd)eit bie ^panbelSVerträge gratdreicbS 
1891 unb 1892, fo baß eS unleugbar febott je^t geboten febeint, 
biefer ebenfo micbtigeit, mie Vermittelten SUtgelegeubeit ein aufnterf- 
faiueS ©tubiuui gngumettben. gür granfreid) bilbet in erfter ßinie 
SlrtiM 11 beS granffurter Beitrages ben ©teilt beS SlnftcßeS. 
grattfreich ift kraft biefeS BertrageS Verpflichtet, ©eutfcblaub alle 
©ttglattb, Belgien ben Rieberlanben, ber ©cbmeig, Defterreid)=llngarit 
unb Rußlanb gemährten Begünftiguitgen eiugiträumen unb iiberDieS 
ift bie ©iltigfeitSbauer beS BertrageS mtbegrengt. StUerbingS bat ba 
gegen aud) graufreidj Slnfpntch atif alle feitenS ©eutichianbS ben 
genannten ©taaten gugeftanbeiten Begüttftiguugeit. ©icfeS Recht 
bringt aber granfreid) keinerlei Ritten, ba ©eutfcblanb and) beit 
anderen ©taaten feine Bortbeile eingeräumt hat. ©ine große 3al)i 
frangöfifdier Snbitftrieller beklagt jeit ßangern tiefen ©taub ber 
©iitge, aubere Singehörige biefer greife betonen bagegen, baß bie 
Racbtheüe, bie aus ben bargelcgten llmftänbeit ermachfeit, übertrieben 
merben unb meifeit gur Begrüitbung ihrer Behauptung auf bie tbatfäd)- 
lidien ©rgefcniffe beS ^anbelSverfebrS gmifcheit grattfreich unb ©eutfeh' 
laub hin. ©ie jährlid)en ©urchfcbiuttSgiffern für grattfreich fiitb 
itämlid): 356 Millionen grancS (Einfuhr, 310 RMionen grancS 3luS- 
fnhr. ©ie ©i'fferettg von 46 ^JUKicnen grancS gu Unguuften gvaitf- 
reicl)S könne nicht als eine febr g\nße erfdeinen, umjomenlger, meun 
ntau bebenft, baß im gelammten £anbelSverfehre graufreid)S 
bie ©infuhr beit ©jrport um ungefähr eine RciUiavbe überfteigt. ©o 
viel fleht aber jebeufaKS feft, baß granfreid) fiel) von ber geffel, 
bie ihm ber gvanffurter Bertrag auferlegt, befreien kann, iitbem eS 
feine £anbelSverträge nid^t erneuert. Sn biefem gatte mirb ©eutfef)- 
laub nicht in ber ßage fein, auS Slrtifel 11 beS genannten Ber 
trageS Bortbeile gu gte’heit, nachbem feiner ber obgebad)ten ©taaten 
Begüitftigmtgett erhalten mirb, bie man aud) ©eutfd)lanb eitträumen 
tft eS, mie et am SRorgen feine 3rft Verbringt; er lieft bie 
gvübmeffe, lieft ein Heiligenleben, ma'djt ftch in ber £trd)e gu 
fd)affen, günbet eine ßampe an, bie eilofden mar, hängt einen 
neuen ©cbleier über eine 9JJabonna, bie BJunber thiit, uub 
fd)ilt auf bie 9Jtöitde, meld)e baS Btlb nicht fauber halten unb 
fid) bamt munbent, meun bie ©evotion fdiminbet. ©iefer 
fiirge Monolog malt uns meifterbaft bie Unbefangenheit unb 
©infalt eines ©tanbcS, ber von feiner eigenen Korruption fein 
red)teS Bemußtlein hat, uub beffen voilenbetfter SupuS gra 
5Iimoteo gemorbett ift." ©benfomenig mte Riccolö ©tachiavelli 
barf ^ietro 2lretino gu ben „©eringeren" gegät;U merbeit, „in 
meldjen fid) feine ftarfe Snöivibualität geigt". 2eot3bem fiitb 
bie Betrad)tungen ©aSparp’S über biefett buntfd)illeritbcn, iit 
mancher Begiehung bahnbredenbeit ©djriftftelter, ber aud) als 
ber erfte Sonrnalift begeichnet merben barf, an vevfebiebenen 
Stetten vergettelt. S« einem größeren, vieles Bortreff* 
iidje enthaltenben Slbfduitte lernen mir guuädft beit 
mit gasreichen ©tängeln behafteten ®ienfd)eit fentten, 
mäbrenb bie romantifchen fPoente, bie allerbingS fäinmtlid) gvag* 
mente blieben, in menigen Stilen in bem Kapitel ,,©aS Heiben* 
gebicht im 16. Sahrtunbert" abgefertigt unb bte Sragöbie: 
„La Orazia tt , fomie bie fiuftfpiele ebenfalls befouberS erörtert 
merben. Rach meinem ©efüble mirb aud ©aSpart) ber S»bi* 
Vibualität ^ietro ^Iretino’S nidt Völlig geredyt, ber ungmeifel* 
haft außerorbentlide ©igeitfdaften befeffett haben muß, meü er 
anbernfaUS von feinen S^enoffen nicht bemunbert, ja, vev* 
göttert morben märe. ©aSparl) führt in biefer Hinfid)t felbft 
auS: „gürften, SRiitifter unb ©enerale rebett gu jpietro liebe* 
voll, bentüthig, felbft friedenb, bublen um feilte ©unft, banfen 
in ben übertriebenften SluSbrüdett für ein 3^td6en feines 2öol)l* 
mottenS, einen Brief, ein SöSerk von ihm. Sdetiweije fiitb eS 
rnohi fonventionelle HöftidfeitSforuteln einer 3^it, melde baS 
epaltirte Kompliment liebte, aber nidt 5lttcS; in folder Blaffe 
fiitbet man bod fonft bie ©dmeidjelei gegenüber einem privat* 
mann nidt. ©r heißt ba raro, divinissimo, adorando; ©iovauni 
be 1 B'lebict bezeichnet il)it als miracolo di natura; SJtidelangclo 
titulirt il)n signore e fratello; ^ergog gebertgo Von Blantua, 
(Eofimo Von gloreng nennen ihn amico carissimo. Hergog 
©uibobalbo Von Urbino fd^eibt ftetS fehr verbinbüd^ herglid), 
familiär, geidnet fich mit amorevol vostro come figliuolo unb 
fagt: ©ure Berbienfte ftnb fo groß, baß jebe ©hre, bie man 
©ud nidt anthut, ©ud geraubt unb geftohlen mirb, ba fte alle 
©ud gufommen. ©er ©raf SRaffimiito ©tantpa will als fein 
©ohn unb ©ictter betradtet fein, ©in Bartolamio ©gnagio 
von goffombroite preift als uttvergleid)lid) feine Schönheit itnb 
verfteigt ftd bis gunt ©acrileg: Pietro fagt er, veikünbet bie 
SBahdeit, nidt mie©ibpllen unb Propheten unter einer ^>üUe; 
„fonbern tch möd)te fagen, baß Sh* ©otteS ©ol)n feib . . .; 
beim ©ott ift bie hödfte 2M)rl)eit tm Fimmel, unb Sl)* feib 
bie SBaljrheit auf ©rben." Unb gu ihm, beffen Ramen man 
tiadhe* ftd fdjeute vor feufd)en Dh*en gu nennen, reben aud 
mit ©rgebenheit, ßiebe unb Bereljrung vornehme unb eble 
grauen. Bittoria ©olonna befdjenEt unb bemunbert ihn unb 
bebauert nur, baß er fein Salent nidt gang ben religiöfen 
©ingen gemibmet habe. Beronica ©ambara fd*eibt ihm eine 
gange Reihe von Briefen voll Betheuerungen ber grcunbfdaft, 
banft bem ©efdide, baß eS, um alle dr'gugefügte Unbill gut 
gn mad)en, ißr fPietro’S ©unft verliehen hat, freut ftd, in feinen 
Seiden gelobt unb bannt vereinigt gu fein, befingt iit einem 
Sonette bie von petro geliebte Stngela ©irena, bie fte glüdlid) 
preift, baS beS großen ©id)tcrS gu beft^en. ©amitta Spulla* 
vicini ueuni feine Unterhaltung mürbig, von ben ©ugelit begehrt 
gu merben. Sticcola Srotti ermartet von ihm einen moralifden 
(Einfluß auf ihren ©aücit ßobovico, hofft, baß er burd) ben 
Umgang mit Pietro ftd) von feinem lodern ßebenSmaubel be* 
lehren iverbe." 
Reben ben vieren Ueberfd)mänglid)!eiten in ber Beurthei* 
litttg -^ietvo Stretino’S ift jebeufaÜS bie Sluffaffuitg biefer Riccola 
Sdotti nid)t ohne einen flauen fontifden Betgefdjntad, ba ber 
Berfaffer beS ßufifpielS „La Cortigiana" felbft in feiner mcitig 
gu ©ittenftrenge neigenben 3ett für alles eher als für einen 
^ugeubfpiegel gehalten mürbe. 2lud) bie italienifche ©idterin 
Beronica ©ambara — fte vermählte ftd im 3al)r 1508 mit 
©ilbert X., Herrn von ©orreggto, unb ftarb im Sah** 1550 — 
täufdte fid in ber Einnahme, bitrd baS ihr in ben Serfen 
Slretino’S gefpettbete ßob Vereinigt gu fein. 3h* en Radruhm 
verbauft fic vielmehr ihren maßr unb marm eutpfunbeiten ^)oeften, 
bie nod vor gehn Sahren von ©piapetti neu herausgegeben 
mürben, ©agegen gelang eS mir Vor 3ah**§f*ifl nidt, in 
bentfelhcn Bologna, in meld)em Beronica ©ambara ben h**vor* 
rageitben ©id)tent ihrer 3*it d* gaftfreieS HanS geöffnet hielt, 
aud nur eine Ausgabe ber „Lettere di M. Pietro Aretino“ 
in ben Buchhaitblitugen ober bei ben Antiquaren auSfiitbig gu 
rnaden. ©S bebarf feines bejonberen HinmeifeS, mie fdiledd eS 
mit ben Serfen spietro Aretino’S in ben anbern italienifdjen 
©täbten befteltt ift, meun ein berartiger SRangel in Bologna, 
melde Stabt bod) ben ftolgen Beinamen „la dotta c ‘ führt, 
nadqemiefen merben kann. AnbererjeitS unterliegt feinem 
3meifel, baß bie Bebeutung ^ietro Aretino’S für bie ©nt* 
midlitng ber ttalienifdjen ßiteratur vielfad unterfdäßt mirb. 
Atter Heud)elei abl)olb, ohne jebod) vor ©djmeicheleien, bie 
dm Bortheil brad)tcn, guritcfgufdjreden, mollte Pietro Aretino 
vor allem ein freier SRaun fein. Sn Beitebig, mo er ftd am 
25. ©tärg 1527 nicbetiteß, hatte er ftd) ben paffenbften Ort 
crmählt, „bie freie Stabt, in ber er unbehelligt blieb, vor 
fürftlider Rade gefdntfet mar, fo lange er fid von ber Politik 
ber Republif fernhielt, mo er für feine ©euußjudt unb feine 
fünftlerifden Reigungen Befriebigung fanb, mie faunt irgenbmo 
anberS. ©r liebte baher Beliebig fehr unb hat eS oft gepriefen. 
©r mollte unabhängig fein, von feiner eigenen Arbeit leben, 
von bem „©dmeiße feiner £inte", mie er ftd in feiner 
groteSfen Seife auSbrüdte. Auf ben Titeln feiner Büder 
nannte er ftd per la grazia di Dio uomo libero. 
©er ©ntfd)luß, frei gu leben tn biefer Seit beS 
HöflingdumS, märe ebel gemefen; aber bie SRittel, mit 
beiten er ftd bie Unabhängigst erhielt, mären nidt beffer als 
bie ©ienftbarfeit. ©r biente nidt einem He**n, aber bem 
©olbe." Sie gutreffenb biefeS Urth/eil ©aSpavp^ aud tm All* 
gemeinen fein mag, muß bod hervorgehoben merben, baß 
Aretino als ber erfte italienifdje ©driftfteller begeidnet merben 
barf, ber, allem Konventionellen ben Krieg erflärenb, ben 
verismo itt bie ßiteratur feines ßanbeS eiitfüßrte, obgleid) biefe 
moberne Begeichnnng ftd nid)t vottftänbig mit bem fün[t!cri* 
fden ©laubenSbefettntniffe beS BerfafferS ber „Cortigiana 44 
müßte. ©te§ mürbe aber ben mirtbfdaftTtdjen Brud grattfreich^ 
mit ©itglattb, Bellten, ben Rieberlanben, ber ©chmeig, Defterveicß* 
Ungarn* unb Ritßlaub bebeittett. Biit biefett Cänbent hat aber 
granfreid einen jährlichen Saarenau§taufd im Sertße von brei 
Blittiarben grancS, maS 40 B^o^eitt beS auSmärtigen HattbelS 
granfreid)S auSmadtt. ©ie grage ift eine feßr fdmiertge unb {ehr 
umfaffeitbe, ße crßeifdt ein äußerft tiefes ©tubium." 
Sn ber geftern mieber eröffnetett belgifden Kammer tft, 
mie telegraphtid gemelbet, von ©eiten einer Attgaßl Brüffeler 
©tubenten eine {Petition gu ©unften ber ©inführung beS all* 
gemeinen ©timmredtö eingegangen, ©egen 200 ©tubenten 
hatten fid) perfönlich nad bem Katnmergebäube begeben, um 
biefe {Petition gu überreidjen. HOtblid barauf, baß baS 
Saßlredt befd*änft merben foH, organifirte aud bie Brüffeler 
göberation ber Arbeiterpartei eilt {Proteftmeeting gegen baS 
Sahlprojelt beS SRinifterS beS S^ern. 3« biefem Bteeting 
fitnbigte ber ©hef*Rebafteur beS ,,^)euple", SolberS, an, baß ber 
Bürgermeifter von Brüffel einen Befd)tuß übermittelt habe, nad 
mcldjem feinem Sdeiinebmer an berStanifeftation geftattet fein foll, 
fid nad bem {Palafte beS Königs ober nach ber Kammer ober 
nad) bem SRiuifterium gu begeben. ©aS ©omite befd)loß beS* 
halb, ben 5)räfibenten ber ©eputirtenfammer aufgufitd)eit, um 
ihm ben befdloffenen ?)roteft gu überrcidhen. AIS ber bisherige 
{Präfibent bann baS ©omite empfing, erklärte er, baß er biefeS 
Amt mäßrenb ber gerien nidt beileibe, baß er bie Refolutioit 
aber bent zukünftigen Borfti^enben ber Repräfentantenfammer 
übermitteln molle. ©em ©omite folgte ein langer 3«9 von 
etma taitfenb Btitgliebern ber Arbeiterpartei, oßne baß jebod 
bie Qvbnuitg geftört morben märe. S^iWen ift geftern bie 
neue Kammerfeffion ohne befoitbere geierlidfeiten eröffnet 
morben, baS bisherige ^räftbium unb Büreau mürben mieber* 
gemählt. AIS ben Hauptgegenftanb ber bevorfteßenben Be* 
vathuugen bßgeid)itete ber präfibent bie ©efe^e über bie ©ogial* 
veforrn. 
fvraMft’ctd). 
12. Roventbcr. Sn ©haloitS*fur*©aöne rüdte ber 
vabifale Abgeorbnete ßeon Bourgeois, bem gu ©ßten ein Banfet 
im bortigeit Theater verattftaltet morben mar, H e **n ßeoit ©ap 
feßarf auf ben ßetb, weil berfelbe eS gemagt hatte, ein entgegen* 
EcmmenbeS Benehmen gur ©emiumtng mander SJtitglieber ber 
Redten unb obettbrein nod eine milbere Anmenbung ber ©dnl s 
uub HeereSgefejje anguempfeßlen. And biefer Rebiter fcfyten 
nidt baran gu gmeifeln, baß ein fortfcßrittlid)eS Kabinet an’S 
Ruber gelangen uub bie von ben Rabifalen als notßmenbig er* 
ad)teten Reformen burdiefeen rnerbe. — gertter mirb auS Bor* 
beaur telegrapßirt, baß in einer bortigeit Berfamittlung, melder 
ber ehemalige Bauteitminifter unb miebergemählte Abgeorbnete 
Rapual beimoßnte* jcbeS Snfamntengehen mit ber Renten im 
BoranS getabelt mürbe. 
Hier mürbe ein Banfet verauftaltet, auf bem ber ehemalige 
©rubenarbeiter unb nunmehrige ©daitfmirtß Sßivrier aus 
SJJtontluoon von fogiaIiftifd)eit greunben in bie feine ©efelljdaft 
eingefüßrt merben feilte, ©affelbe fanb bei XaVernier tm {Palais 
Ropal ftatt unb hatte ein nidtS tveniger als fpartattifd)eS 
9Renu. Um feinem Sorte unb ber ßofalfrage treu gu 
bleiben, hatte Sßivrier mieber feine neue blaue Bloufe an, 
aber fte mar vorne meit offen unb ließ einen regelrecht gu* 
geknöpften fieibrod, einen bieubenb meißen Kragen unb eine 
feßmargfeibene H^isöinbe cvbltden. Säßvenb man auf bie 
©uppe martete — S:apioca unb S^Iienne nad) Belieben — 
mürbe ein {Papier veitheilt, meldteS bie ©rflärung beS Bürgers 
-Sdivrier enthielt, er mevbe alle BourgeoiS*^arteien glctdmäßig 
bclämpfeit, ntd)ts gemein haben mit ben Renegaten bcS 
SogialiSinuS, melde unter bem ©du£e ber gerrt), ©onftanS, 
©lemcnceau baS Abgeovbneten * SRaubat erlangten, mie 
ScffniT, ober ftd von Boulangcr protegiren ließen, 
mie Rode unb Svurbe. Ser im ©cßlepptau ©onftanS 1 ober 
Boulauger’S fährt, ber muß als Berrätßer gebranbmarft fein 
uub bleiben. Beim ffltaßle geigte fid Sßivrier fehr aufgelegt, 
bedt. ©iiter ber ßcrVorrageiibfien italiettifden Ritgebidiev 
©tufeppe ©iufti, cßarafterifirt bie Sal)ritehmungen unb bie 
Aufgabe beS ©atiriferS, ber nid)t leeren Hi* l hiefptmtften nad= 
jagt, fonbern bie Sivflid)feit mieberfpiegelu mill: 
„Sie meun bu einer glommen nadgemanbelt 
Unb fießft, mann enblid bann ber ©dleier fällt, 
©aS Bilb, baS bu bir golben vorgeftettt, 
3ii ©drntd vermanbelt . * . ." 
„Berfteiuert ftanb id); ben ganiiliengug 
Sn meinem Antli^ münfdt 1 icß gu verfteden, 
Bis bann hervor aus ©djnterg unb 3vrn unb ©d*eden 
©in ßadjen fd^9-" 
©olde ©inbritde gu fdilbent, hetradtete aud {Pietro 
Aretino tn feilten ßuftfpieleit als feine hauptfäcßlidje Aufgabe, 
inbem er, mie hervorgeßoben merben muß, nidt Verfdmäßte, 
im ©dymuße gu maten. ©oll jebod eine geredte Sürbigung 
Pietro Aretino’S erfolgen, ber guerft ben ©roßen, Kaifer unb 
{papft nid)t ausgenommen, Adtung itttb gurdt Vor bem ge* 
fd*iebencit Sorte einflößte, fo muß aud auf ©bavaftereigen* 
feßaften ßingemiefen merben, bie nicht allgu ßäußg ftnb. ©o 
mar pietro Aretino ein gttvcrläfftger greunb, mie fein Ber* 
ßältniß gu Sigian unb Vor allem gu bem ©onbottiere ©ioVannt 
be 1 SRebict belimbet. Rüßrenb ift ber Berid)t, melden jener 
am 10. ©egeutber 1526 in einem an granceSco begli Albiggt 
gevidteten ©dreibeit über bie leßteit ©tunben feines greunbeS 
erftattet, als ©iovanni be 1 DRebtci, ber an ber ©piße ber 
„Bande nere" ben beutfden ßanbSfued)teit unter ©eorg von 
grunbSberg gegenübergeftanben hatte, burd einen ©d)uß in 
baS Bein töbtlid Vermmtbet morben mar* 
|)ietro Aretino mar aud) ein Helfer unb Bcratßer für bie 
Bebraugten, unb gmar in einer Seit, in meld)er bie Sittfitr 
herrfdde, fo baß ber greimüttjigfeit, mit ber er bie ©roßen an 
ben {Pranger fteUte, volle Anerfennung gebührt. „An ©ßrett 
unb Titeln mar ihm ttid)tS gelegen" — hebt ©aSparl) mit 
Redt hervor, ©iefer HinmeiS verbient aud in unfern &agcn 
beßergigt gu merben — ba eS unter ben ©d*iftftellern heute 
nod folde geben foH, melde DrbenSbänber unb „©taubes* 
erhößungen" attftreben, als ob gute Büder baburd ju befferett, 
ober gar fdledte gu guten merben fönnten, meil ihre Berfaffer 
fid mit buntem $anb behängen ober ißren eßrliden bürger* 
liden Ranten in einen „Ortsnamen" vermanbeln. ©ebafiian 
Braut redivivus mürbe ißnen fid)erlid in feinem Rarren* 
fdtffe einen ©ßrettpla^ anmeifen. Senn ber ©olbat, ber fein 
Blut für baS Baterlanb Vergoffen ßat, mit ©tolg bie ©ßren* 
geiden trägt, burd beren Anbiid bte jüngeren Kameraben gur 
Tapferkeit angefpornt merben follen, fo mag bieS 
berechtigt fein. ©er 8Rutß beS ©d*iftftelterS liegt 
aber auf einem anbern ©ebiete; freilid foll er ebenfalls 
Tapferkeit unb SRutfj befnnben, inbem er feine Unabßängigfeit 
maßrt. Pietro Aretino, ber Bielgefdmäßte, lann felbft in biefer 
Hinftdt Beifpiel bienen, obgleid bte SRittel, melde er 
beßufS Saßrung feiner Unabßängigleit anmenbete, oftmals ben 
fdärfften Sabel ßerauSforbern. „©r fdmäßte bie ©emeiitheit 
unb ben ©eig ber ©roßen, melde ba§ Salent nidt eßren; er 
prebigte bie SRayimen ber greißeit unb ber SRenfdenmürbe: 
„Senn bie Hevren He**en ftnb, fo ftnb bieSRettfden SRenfd)en",
	        
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