©Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Dr 204
©crButtbeSratß mirb morgen, ©omterfiag, eine {picitar* 1
ftßmtg galten. Auf ber SageSorbnung fielen gefcßäftlide SRit*
Teilungen, ©ntmurf eines ©efeßeS ‘megen geftftellung eines
gruetten Rad)tragS gum 5Reidb@I>au^f>aItöetat für 1889/90; AuS*
fdlußberidte über SnerJemutng verjd)iebener Rcdte an bie
Kameruner ßanb* unb {piantagen*©eieltfdaft, über ©ingaben,
fornie über Einträge megen Befeßung ven vier RatbSftellen beim
Reid3gerid)t unb ©efdäftlidieS. — Sie man hört, mirb ber,
bie Kofteit ber Sißmann’fdjen ©ppebition betreffettbe gmeite
RadtragSetat jo fdjneH burd bie ^luöjdjüffe edebigt Serben,
baß bevfelbe fc^ou in ber nädfien Sode bem Steid^taae vor*
liegen bann. _____
©er Reid)Stag braute bie gange heutige ©ißung, bie
abermals Anträgen aus bem Haufe gemibmet mar, nod) mit
ber gortfeßung ber Vorgeftern abgebrochenen ©ebatte über ben
Antrag Ridert gu, meiner bie verbünbeten Regierungen er*
fudjen mollte, ben Beamten eingufdärfen, baß fte bie gum
©dttß ber Saßlfreiljeit beftehcnben gefeßlidett Be*
flimmimgen in S^nft genau beobachten. Abg. Ridert er*
ging ftd in einer fel)r heftigen ©rmiberung gegen bie neulidjen
Reben beS babifden BunbcSbeVollmädtigten 0. SRarfd^aU unb
beS Abg. giefer. ©ie Ausführungen über bie babifeße „SRiß*
mirtßfdaft", über melde bem einftmeilen nod in einem Sraum
befangenen babifden Bolfe aud) einft bie Singen aufgeben
mürben, veranlagten Herrn v. SRarfdall, nodmald bic©ruub*
lofigfeit ber Ridetffden Behauptungen gu beleuchten. Sind)
bie Slbgg. Hegel unb 9Rüller*9Rarienmerber traten ben
Ridetffden Ausführungen, fornie feinem Slntrag entgegen, ©ie
miefen barauf bin, baß biefe Ausführungen ftd) tßeifmeife auf
unermiefene Behauptungen ftüßen, baß aber bie mirtiid) feftge*
[teilten SSerftöge gegen bie Saßlfreißeit ben Regierungen bereits
gur Kenntniß gebrad)t feien, ©djließlicß mürbe bie vom Slbg.
9RüUer*9Ranenmerber beantragte motivirte SageSorbnung
gegen bie Stimmen ber ©eutfebfreifinnigen, beS Zentrums, ber
©ogialbemof raten unb {Polen angenommen, ber Slntrag Ridert
bamit befeitigt. ©oitnerftag: ©tat.
Anläßlich ber geftrtgen ©rörterung im ReidStag über baS
bürgerlid)e ©efeßbudj bringt bie „Rorbb. Ailg. 3tg."
einen SlrtiEel, an beffen ©d)luß eS I)ei^t:
Bei einer foldjen, bem ©ntmuvfe gemibmeten Sßätigfeit barf
man begügltd) be$ fd)Xiegltcf)en 3uftanbefontmenS beS SerfeS bej
rut)igt fein, memt aud) bei ber befonbereit ©eßmierigfeit berfelben
ein beftimmter S^itpuuft nid)t in AuSftcßt genommen merben
faun. ©otnel aber ift fd)oit beute ftd)?r, baß bie theorettjehen
Streitigkeiten ber Dtomamften unb ©erntaniften, melcße anläßlich ber
Beröffeutltclntng beS ©ntnmrfS neue Raßrung gemonnett haben, auf
bie meitere Beßanblung unb auf ben Abfd)luß berfelben feinen
befonbereit ©inflttß babeit merben. ©§ ftnb ©rmäguugen fachlüßer
Slrt unb bie thatfäd)lichen Bebürfniffe be§ BolfeS, meldie für bie
(Beftaltuug beS bürgertidjen Red)t§ ntaßgebcnb fein muffen, unb
nirf)t ber Streit ber ©cßuleit, beffen ©nbe überhaupt nicht abgu*
feben ift. (Gegenüber ben ©arlegungen bc§ ©taatSfefretärS beS
Reid)§*3uftigamtS erfdjeiueit bie von verfd)iebenen ©eiten geäußerten
Smeifel, ob überbaupt baS Sßerf in abfebbaver Seit gu Grube ge
führt merben bürfte, hinfällig, uttb baS ©rgebniß jener SluSeiit-
anberfe^ungeit als ein erfreuliches, ivelcbeS bie bem ©ntmurfe gc-
mibmete vielfeitige ^hntigfeit nur gu fieigent geeignet ift.
33efanutlicb gehört bie Unfallverhütung gu ben Stuf*
gaben ber SSerufSgeitoffenfdbafteit, ber bei meitem größte
St)eil berfelben bot Vom Reidts4Seiftd)eiungSamte genebmigte
UnfallverT)ütungSvorfd)viften erlaffeit. $anb tit $aub hiermit
gebt bie Steigerung ber SluSgabeit, melcbe bie S3erufSgeitoffen=
frfjflfbn gur Uebermadning ber gu ihnen gehören ben S3etrtebe
aufmenbeit. ©iefe Uebermad)ung kamt foivobl von ben SBer*
trauenSmäitnern, als aud) von befonbereit ^Beamten, ben
fogeuannten Beauftragten, vorgenontmett merbeit. 3m
3al)re 1886 batten bie bantals in gmtftion befmblid)en
62 gemerblid}eit BerufSgenoffenfcbaften nur 39, im
Sabre 1887 bereits 79 unb im 3^rc 1888 124
aufiragte. ©ie ©efammtauSgaben, meldje bie 62 burdb bie
©efdte Vom 6. Sult 1884 unb 28. ?07at 1885 gefdjaffenen ge*
merblicbeit BerufSgenoffenfdbaften tn ben genannten bret Sabren
für bie Unfallverhütung aufgemenbet haben, betrugen im Sabre
1886: 69 933,35 3Rarf, 1887: 361588,61 SRarf unb 1888:
327 249,51 ffiRarf. ©te Benninberung ber ©umnte für 1888
Eornrnt baber, baß bte SRüllerei^BcrufSgenoffenfcbaft tbre aller*
bingS aitßerorbentlid) hoben Äoften für Unfallverhütung bcS
SabveS 1887 auf ein Siebentel rebugitt bat. ^eben mir bie
3al)len für bie TOüHerei=BerufSgenoffenfd)aft aus ben ©dämmt*
fummeit für 1887 unb 1888 b^auS, fo erhalten mir für baS
elftere Sabr 158 254 9Rf. unb für baS leßtere 297 704,82 9Rar!.
©ie Äomutiffion gur Borbcratbuitg über bie gerbet*
fübruitg gemeinfamer ©ruitbfä^e bei ber ©ettebmtgung
unb Revtfion von ©ampftejfein bat mäbrenb ber lebten
Sage unter Borft^ beS ©eb. DberregierungSratb^ ßobmann im
ReidSamt beS S»«ern Verfd)iebene .#onfereitgen abgebalten unb
am ©ienftag tbre Beratbungen gejcbloffen. ©S banbelte fid)
babei um (Erörterungen ber grage, ob eS nicht möglich ift, baS
gefammte ©efeßgebungS* unb BerorbitungSgebiet, baS fid) auf
bie ©ampffeffel begiebt, alfo nicht bloS bie ©ampffeffelanlagen,
fonbern aud) bereu Revifionen betrifft, Von Reid)Smegcn ober
meuigftenS einheitlich gu regeln. 3«r Seit ftnb gemtffe grageit,
mie bie ber ^ongcffionSpflicbtigEeit bitreb bie ©emerbeorbnmtg,
bie ber Shtleguttg von ©ampfteffeln einheitlich burd) BuitbeS*
ratbSbefcbluß georbitet, mäbrenb eine gange Reibe anberer unb
unter ihnen bie grage ber Revisionen von ©eiten ber ßanbeS*
regieriutgen erlebigt merben.
©ie grage ber (Erneuerung ber öanbelSVerträge
mtrb bie neitgemäblte fraitgöftfd)e Kammer vielfad) befd)äf*
ttgen; fte bat aud) in bte lebten äßablen biaeingefpielt, jebod)
fetneSmegS fo ftarf, als bieS in ©eutfdlanb ber gaü gu fein
pflegt, ©djußgöllner unb greibänbler fteben ftd) gmar and) in
granfreid gegenüber unb namentlich machen ftd) and) agvarifdje
Beftvebmtgen ftarf geltenb, baS ^)avteileben mirb inbeffen ba*
burd) mir geftreift. ©aS SJHnifterium Sirarb * (EonfianS ift
anfebetnenb noch nid)t bagu gefommen, ftd über feine Haltung
gegenüber ben ^aitbelSVerträgen fcblüffig gu machen. SSeuigftenS
fcheint bieS auS ben Bemerfiutgeit hervorgugeheit, melde eine
neue infpirtrte ^vtrifer ©timme in ber „$). Ä." vorträgt. ©S
heiß; bafelbft:
,,©ie grage ber ©nteitcruttg ber $aubclSVet*Vertäge, tvclche fafi
alle envopäifd)en Regierungen be|d)äftigt, mirb auch itt $ariS leb
haft erörtert. Befauntlid) erlöfd)eit bie ^panbelSVerträge gratdreicbS
1891 unb 1892, fo baß eS unleugbar febott je^t geboten febeint,
biefer ebenfo micbtigeit, mie Vermittelten SUtgelegeubeit ein aufnterf-
faiueS ©tubiuui gngumettben. gür granfreid) bilbet in erfter ßinie
SlrtiM 11 beS granffurter Beitrages ben ©teilt beS SlnftcßeS.
grattfreich ift kraft biefeS BertrageS Verpflichtet, ©eutfcblaub alle
©ttglattb, Belgien ben Rieberlanben, ber ©cbmeig, Defterreid)=llngarit
unb Rußlanb gemährten Begünftiguitgen eiugiträumen unb iiberDieS
ift bie ©iltigfeitSbauer beS BertrageS mtbegrengt. StUerbingS bat ba
gegen aud) graufreidj Slnfpntch atif alle feitenS ©eutichianbS ben
genannten ©taaten gugeftanbeiten Begüttftiguugeit. ©icfeS Recht
bringt aber granfreid) keinerlei Ritten, ba ©eutfcblanb and) beit
anderen ©taaten feine Bortbeile eingeräumt hat. ©ine große 3al)i
frangöfifdier Snbitftrieller beklagt jeit ßangern tiefen ©taub ber
©iitge, aubere Singehörige biefer greife betonen bagegen, baß bie
Racbtheüe, bie aus ben bargelcgten llmftänbeit ermachfeit, übertrieben
merben unb meifeit gur Begrüitbung ihrer Behauptung auf bie tbatfäd)-
lidien ©rgefcniffe beS ^anbelSverfebrS gmifcheit grattfreich unb ©eutfeh'
laub hin. ©ie jährlid)en ©urchfcbiuttSgiffern für grattfreich fiitb
itämlid): 356 Millionen grancS (Einfuhr, 310 RMionen grancS 3luS-
fnhr. ©ie ©i'fferettg von 46 ^JUKicnen grancS gu Unguuften gvaitf-
reicl)S könne nicht als eine febr g\nße erfdeinen, umjomenlger, meun
ntau bebenft, baß im gelammten £anbelSverfehre graufreid)S
bie ©infuhr beit ©jrport um ungefähr eine RciUiavbe überfteigt. ©o
viel fleht aber jebeufaKS feft, baß granfreid) fiel) von ber geffel,
bie ihm ber gvanffurter Bertrag auferlegt, befreien kann, iitbem eS
feine £anbelSverträge nid^t erneuert. Sn biefem gatte mirb ©eutfef)-
laub nicht in ber ßage fein, auS Slrtifel 11 beS genannten Ber
trageS Bortbeile gu gte’heit, nachbem feiner ber obgebad)ten ©taaten
Begüitftigmtgett erhalten mirb, bie man aud) ©eutfd)lanb eitträumen
tft eS, mie et am SRorgen feine 3rft Verbringt; er lieft bie
gvübmeffe, lieft ein Heiligenleben, ma'djt ftch in ber £trd)e gu
fd)affen, günbet eine ßampe an, bie eilofden mar, hängt einen
neuen ©cbleier über eine 9JJabonna, bie BJunber thiit, uub
fd)ilt auf bie 9Jtöitde, meld)e baS Btlb nicht fauber halten unb
fid) bamt munbent, meun bie ©evotion fdiminbet. ©iefer
fiirge Monolog malt uns meifterbaft bie Unbefangenheit unb
©infalt eines ©tanbcS, ber von feiner eigenen Korruption fein
red)teS Bemußtlein hat, uub beffen voilenbetfter SupuS gra
5Iimoteo gemorbett ift." ©benfomenig mte Riccolö ©tachiavelli
barf ^ietro 2lretino gu ben „©eringeren" gegät;U merbeit, „in
meldjen fid) feine ftarfe Snöivibualität geigt". 2eot3bem fiitb
bie Betrad)tungen ©aSparp’S über biefett buntfd)illeritbcn, iit
mancher Begiehung bahnbredenbeit ©djriftftelter, ber aud) als
ber erfte Sonrnalift begeichnet merben barf, an vevfebiebenen
Stetten vergettelt. S« einem größeren, vieles Bortreff*
iidje enthaltenben Slbfduitte lernen mir guuädft beit
mit gasreichen ©tängeln behafteten ®ienfd)eit fentten,
mäbrenb bie romantifchen fPoente, bie allerbingS fäinmtlid) gvag*
mente blieben, in menigen Stilen in bem Kapitel ,,©aS Heiben*
gebicht im 16. Sahrtunbert" abgefertigt unb bte Sragöbie:
„La Orazia tt , fomie bie fiuftfpiele ebenfalls befouberS erörtert
merben. Rach meinem ©efüble mirb aud ©aSpart) ber S»bi*
Vibualität ^ietro ^Iretino’S nidt Völlig geredyt, ber ungmeifel*
haft außerorbentlide ©igeitfdaften befeffett haben muß, meü er
anbernfaUS von feinen S^enoffen nicht bemunbert, ja, vev*
göttert morben märe. ©aSparl) führt in biefer Hinfid)t felbft
auS: „gürften, SRiitifter unb ©enerale rebett gu jpietro liebe*
voll, bentüthig, felbft friedenb, bublen um feilte ©unft, banfen
in ben übertriebenften SluSbrüdett für ein 3^td6en feines 2öol)l*
mottenS, einen Brief, ein SöSerk von ihm. Sdetiweije fiitb eS
rnohi fonventionelle HöftidfeitSforuteln einer 3^it, melde baS
epaltirte Kompliment liebte, aber nidt 5lttcS; in folder Blaffe
fiitbet man bod fonft bie ©dmeidjelei gegenüber einem privat*
mann nidt. ©r heißt ba raro, divinissimo, adorando; ©iovauni
be 1 B'lebict bezeichnet il)it als miracolo di natura; SJtidelangclo
titulirt il)n signore e fratello; ^ergog gebertgo Von Blantua,
(Eofimo Von gloreng nennen ihn amico carissimo. Hergog
©uibobalbo Von Urbino fd^eibt ftetS fehr verbinbüd^ herglid),
familiär, geidnet fich mit amorevol vostro come figliuolo unb
fagt: ©ure Berbienfte ftnb fo groß, baß jebe ©hre, bie man
©ud nidt anthut, ©ud geraubt unb geftohlen mirb, ba fte alle
©ud gufommen. ©er ©raf SRaffimiito ©tantpa will als fein
©ohn unb ©ictter betradtet fein, ©in Bartolamio ©gnagio
von goffombroite preift als uttvergleid)lid) feine Schönheit itnb
verfteigt ftd bis gunt ©acrileg: Pietro fagt er, veikünbet bie
SBahdeit, nidt mie©ibpllen unb Propheten unter einer ^>üUe;
„fonbern tch möd)te fagen, baß Sh* ©otteS ©ol)n feib . . .;
beim ©ott ift bie hödfte 2M)rl)eit tm Fimmel, unb Sl)* feib
bie SBaljrheit auf ©rben." Unb gu ihm, beffen Ramen man
tiadhe* ftd fdjeute vor feufd)en Dh*en gu nennen, reben aud
mit ©rgebenheit, ßiebe unb Bereljrung vornehme unb eble
grauen. Bittoria ©olonna befdjenEt unb bemunbert ihn unb
bebauert nur, baß er fein Salent nidt gang ben religiöfen
©ingen gemibmet habe. Beronica ©ambara fd*eibt ihm eine
gange Reihe von Briefen voll Betheuerungen ber grcunbfdaft,
banft bem ©efdide, baß eS, um alle dr'gugefügte Unbill gut
gn mad)en, ißr fPietro’S ©unft verliehen hat, freut ftd, in feinen
Seiden gelobt unb bannt vereinigt gu fein, befingt iit einem
Sonette bie von petro geliebte Stngela ©irena, bie fte glüdlid)
preift, baS beS großen ©id)tcrS gu beft^en. ©amitta Spulla*
vicini ueuni feine Unterhaltung mürbig, von ben ©ugelit begehrt
gu merben. Sticcola Srotti ermartet von ihm einen moralifden
(Einfluß auf ihren ©aücit ßobovico, hofft, baß er burd) ben
Umgang mit Pietro ftd) von feinem lodern ßebenSmaubel be*
lehren iverbe."
Reben ben vieren Ueberfd)mänglid)!eiten in ber Beurthei*
litttg -^ietvo Stretino’S ift jebeufaÜS bie Sluffaffuitg biefer Riccola
Sdotti nid)t ohne einen flauen fontifden Betgefdjntad, ba ber
Berfaffer beS ßufifpielS „La Cortigiana" felbft in feiner mcitig
gu ©ittenftrenge neigenben 3ett für alles eher als für einen
^ugeubfpiegel gehalten mürbe. 2lud) bie italienifche ©idterin
Beronica ©ambara — fte vermählte ftd im 3al)r 1508 mit
©ilbert X., Herrn von ©orreggto, unb ftarb im Sah** 1550 —
täufdte fid in ber Einnahme, bitrd baS ihr in ben Serfen
Slretino’S gefpettbete ßob Vereinigt gu fein. 3h* en Radruhm
verbauft fic vielmehr ihren maßr unb marm eutpfunbeiten ^)oeften,
bie nod vor gehn Sahren von ©piapetti neu herausgegeben
mürben, ©agegen gelang eS mir Vor 3ah**§f*ifl nidt, in
bentfelhcn Bologna, in meld)em Beronica ©ambara ben h**vor*
rageitben ©id)tent ihrer 3*it d* gaftfreieS HanS geöffnet hielt,
aud nur eine Ausgabe ber „Lettere di M. Pietro Aretino“
in ben Buchhaitblitugen ober bei ben Antiquaren auSfiitbig gu
rnaden. ©S bebarf feines bejonberen HinmeifeS, mie fdiledd eS
mit ben Serfen spietro Aretino’S in ben anbern italienifdjen
©täbten befteltt ift, meun ein berartiger SRangel in Bologna,
melde Stabt bod) ben ftolgen Beinamen „la dotta c ‘ führt,
nadqemiefen merben kann. AnbererjeitS unterliegt feinem
3meifel, baß bie Bebeutung ^ietro Aretino’S für bie ©nt*
midlitng ber ttalienifdjen ßiteratur vielfad unterfdäßt mirb.
Atter Heud)elei abl)olb, ohne jebod) vor ©djmeicheleien, bie
dm Bortheil brad)tcn, guritcfgufdjreden, mollte Pietro Aretino
vor allem ein freier SRaun fein. Sn Beitebig, mo er ftd am
25. ©tärg 1527 nicbetiteß, hatte er ftd) ben paffenbften Ort
crmählt, „bie freie Stabt, in ber er unbehelligt blieb, vor
fürftlider Rade gefdntfet mar, fo lange er fid von ber Politik
ber Republif fernhielt, mo er für feine ©euußjudt unb feine
fünftlerifden Reigungen Befriebigung fanb, mie faunt irgenbmo
anberS. ©r liebte baher Beliebig fehr unb hat eS oft gepriefen.
©r mollte unabhängig fein, von feiner eigenen Arbeit leben,
von bem „©dmeiße feiner £inte", mie er ftd in feiner
groteSfen Seife auSbrüdte. Auf ben Titeln feiner Büder
nannte er ftd per la grazia di Dio uomo libero.
©er ©ntfd)luß, frei gu leben tn biefer Seit beS
HöflingdumS, märe ebel gemefen; aber bie SRittel, mit
beiten er ftd bie Unabhängigst erhielt, mären nidt beffer als
bie ©ienftbarfeit. ©r biente nidt einem He**n, aber bem
©olbe." Sie gutreffenb biefeS Urth/eil ©aSpavp^ aud tm All*
gemeinen fein mag, muß bod hervorgehoben merben, baß
Aretino als ber erfte italienifdje ©driftfteller begeidnet merben
barf, ber, allem Konventionellen ben Krieg erflärenb, ben
verismo itt bie ßiteratur feines ßanbeS eiitfüßrte, obgleid) biefe
moberne Begeichnnng ftd nid)t vottftänbig mit bem fün[t!cri*
fden ©laubenSbefettntniffe beS BerfafferS ber „Cortigiana 44
müßte. ©te§ mürbe aber ben mirtbfdaftTtdjen Brud grattfreich^
mit ©itglattb, Bellten, ben Rieberlanben, ber ©chmeig, Defterveicß*
Ungarn* unb Ritßlaub bebeittett. Biit biefett Cänbent hat aber
granfreid einen jährlichen Saarenau§taufd im Sertße von brei
Blittiarben grancS, maS 40 B^o^eitt beS auSmärtigen HattbelS
granfreid)S auSmadtt. ©ie grage ift eine feßr fdmiertge unb {ehr
umfaffeitbe, ße crßeifdt ein äußerft tiefes ©tubium."
Sn ber geftern mieber eröffnetett belgifden Kammer tft,
mie telegraphtid gemelbet, von ©eiten einer Attgaßl Brüffeler
©tubenten eine {Petition gu ©unften ber ©inführung beS all*
gemeinen ©timmredtö eingegangen, ©egen 200 ©tubenten
hatten fid) perfönlich nad bem Katnmergebäube begeben, um
biefe {Petition gu überreidjen. HOtblid barauf, baß baS
Saßlredt befd*änft merben foH, organifirte aud bie Brüffeler
göberation ber Arbeiterpartei eilt {Proteftmeeting gegen baS
Sahlprojelt beS SRinifterS beS S^ern. 3« biefem Bteeting
fitnbigte ber ©hef*Rebafteur beS ,,^)euple", SolberS, an, baß ber
Bürgermeifter von Brüffel einen Befd)tuß übermittelt habe, nad
mcldjem feinem Sdeiinebmer an berStanifeftation geftattet fein foll,
fid nad bem {Palafte beS Königs ober nach ber Kammer ober
nad) bem SRiuifterium gu begeben. ©aS ©omite befd)loß beS*
halb, ben 5)räfibenten ber ©eputirtenfammer aufgufitd)eit, um
ihm ben befdloffenen ?)roteft gu überrcidhen. AIS ber bisherige
{Präfibent bann baS ©omite empfing, erklärte er, baß er biefeS
Amt mäßrenb ber gerien nidt beileibe, baß er bie Refolutioit
aber bent zukünftigen Borfti^enben ber Repräfentantenfammer
übermitteln molle. ©em ©omite folgte ein langer 3«9 von
etma taitfenb Btitgliebern ber Arbeiterpartei, oßne baß jebod
bie Qvbnuitg geftört morben märe. S^iWen ift geftern bie
neue Kammerfeffion ohne befoitbere geierlidfeiten eröffnet
morben, baS bisherige ^räftbium unb Büreau mürben mieber*
gemählt. AIS ben Hauptgegenftanb ber bevorfteßenben Be*
vathuugen bßgeid)itete ber präfibent bie ©efe^e über bie ©ogial*
veforrn.
fvraMft’ctd).
12. Roventbcr. Sn ©haloitS*fur*©aöne rüdte ber
vabifale Abgeorbnete ßeon Bourgeois, bem gu ©ßten ein Banfet
im bortigeit Theater verattftaltet morben mar, H e **n ßeoit ©ap
feßarf auf ben ßetb, weil berfelbe eS gemagt hatte, ein entgegen*
EcmmenbeS Benehmen gur ©emiumtng mander SJtitglieber ber
Redten unb obettbrein nod eine milbere Anmenbung ber ©dnl s
uub HeereSgefejje anguempfeßlen. And biefer Rebiter fcfyten
nidt baran gu gmeifeln, baß ein fortfcßrittlid)eS Kabinet an’S
Ruber gelangen uub bie von ben Rabifalen als notßmenbig er*
ad)teten Reformen burdiefeen rnerbe. — gertter mirb auS Bor*
beaur telegrapßirt, baß in einer bortigeit Berfamittlung, melder
ber ehemalige Bauteitminifter unb miebergemählte Abgeorbnete
Rapual beimoßnte* jcbeS Snfamntengehen mit ber Renten im
BoranS getabelt mürbe.
Hier mürbe ein Banfet verauftaltet, auf bem ber ehemalige
©rubenarbeiter unb nunmehrige ©daitfmirtß Sßivrier aus
SJJtontluoon von fogiaIiftifd)eit greunben in bie feine ©efelljdaft
eingefüßrt merben feilte, ©affelbe fanb bei XaVernier tm {Palais
Ropal ftatt unb hatte ein nidtS tveniger als fpartattifd)eS
9Renu. Um feinem Sorte unb ber ßofalfrage treu gu
bleiben, hatte Sßivrier mieber feine neue blaue Bloufe an,
aber fte mar vorne meit offen unb ließ einen regelrecht gu*
geknöpften fieibrod, einen bieubenb meißen Kragen unb eine
feßmargfeibene H^isöinbe cvbltden. Säßvenb man auf bie
©uppe martete — S:apioca unb S^Iienne nad) Belieben —
mürbe ein {Papier veitheilt, meldteS bie ©rflärung beS Bürgers
-Sdivrier enthielt, er mevbe alle BourgeoiS*^arteien glctdmäßig
bclämpfeit, ntd)ts gemein haben mit ben Renegaten bcS
SogialiSinuS, melde unter bem ©du£e ber gerrt), ©onftanS,
©lemcnceau baS Abgeovbneten * SRaubat erlangten, mie
ScffniT, ober ftd von Boulangcr protegiren ließen,
mie Rode unb Svurbe. Ser im ©cßlepptau ©onftanS 1 ober
Boulauger’S fährt, ber muß als Berrätßer gebranbmarft fein
uub bleiben. Beim ffltaßle geigte fid Sßivrier fehr aufgelegt,
bedt. ©iiter ber ßcrVorrageiibfien italiettifden Ritgebidiev
©tufeppe ©iufti, cßarafterifirt bie Sal)ritehmungen unb bie
Aufgabe beS ©atiriferS, ber nid)t leeren Hi* l hiefptmtften nad=
jagt, fonbern bie Sivflid)feit mieberfpiegelu mill:
„Sie meun bu einer glommen nadgemanbelt
Unb fießft, mann enblid bann ber ©dleier fällt,
©aS Bilb, baS bu bir golben vorgeftettt,
3ii ©drntd vermanbelt . * . ."
„Berfteiuert ftanb id); ben ganiiliengug
Sn meinem Antli^ münfdt 1 icß gu verfteden,
Bis bann hervor aus ©djnterg unb 3vrn unb ©d*eden
©in ßadjen fd^9-"
©olde ©inbritde gu fdilbent, hetradtete aud {Pietro
Aretino tn feilten ßuftfpieleit als feine hauptfäcßlidje Aufgabe,
inbem er, mie hervorgeßoben merben muß, nidt Verfdmäßte,
im ©dymuße gu maten. ©oll jebod eine geredte Sürbigung
Pietro Aretino’S erfolgen, ber guerft ben ©roßen, Kaifer unb
{papft nid)t ausgenommen, Adtung itttb gurdt Vor bem ge*
fd*iebencit Sorte einflößte, fo muß aud auf ©bavaftereigen*
feßaften ßingemiefen merben, bie nicht allgu ßäußg ftnb. ©o
mar pietro Aretino ein gttvcrläfftger greunb, mie fein Ber*
ßältniß gu Sigian unb Vor allem gu bem ©onbottiere ©ioVannt
be 1 SRebict belimbet. Rüßrenb ift ber Berid)t, melden jener
am 10. ©egeutber 1526 in einem an granceSco begli Albiggt
gevidteten ©dreibeit über bie leßteit ©tunben feines greunbeS
erftattet, als ©iovanni be 1 DRebtci, ber an ber ©piße ber
„Bande nere" ben beutfden ßanbSfued)teit unter ©eorg von
grunbSberg gegenübergeftanben hatte, burd einen ©d)uß in
baS Bein töbtlid Vermmtbet morben mar*
|)ietro Aretino mar aud) ein Helfer unb Bcratßer für bie
Bebraugten, unb gmar in einer Seit, in meld)er bie Sittfitr
herrfdde, fo baß ber greimüttjigfeit, mit ber er bie ©roßen an
ben {Pranger fteUte, volle Anerfennung gebührt. „An ©ßrett
unb Titeln mar ihm ttid)tS gelegen" — hebt ©aSparl) mit
Redt hervor, ©iefer HinmeiS verbient aud in unfern &agcn
beßergigt gu merben — ba eS unter ben ©d*iftftellern heute
nod folde geben foH, melde DrbenSbänber unb „©taubes*
erhößungen" attftreben, als ob gute Büder baburd ju befferett,
ober gar fdledte gu guten merben fönnten, meil ihre Berfaffer
fid mit buntem $anb behängen ober ißren eßrliden bürger*
liden Ranten in einen „Ortsnamen" vermanbeln. ©ebafiian
Braut redivivus mürbe ißnen fid)erlid in feinem Rarren*
fdtffe einen ©ßrettpla^ anmeifen. Senn ber ©olbat, ber fein
Blut für baS Baterlanb Vergoffen ßat, mit ©tolg bie ©ßren*
geiden trägt, burd beren Anbiid bte jüngeren Kameraben gur
Tapferkeit angefpornt merben follen, fo mag bieS
berechtigt fein. ©er 8Rutß beS ©d*iftftelterS liegt
aber auf einem anbern ©ebiete; freilid foll er ebenfalls
Tapferkeit unb SRutfj befnnben, inbem er feine Unabßängigfeit
maßrt. Pietro Aretino, ber Bielgefdmäßte, lann felbft in biefer
Hinftdt Beifpiel bienen, obgleid bte SRittel, melde er
beßufS Saßrung feiner Unabßängigleit anmenbete, oftmals ben
fdärfften Sabel ßerauSforbern. „©r fdmäßte bie ©emeiitheit
unb ben ©eig ber ©roßen, melde ba§ Salent nidt eßren; er
prebigte bie SRayimen ber greißeit unb ber SRenfdenmürbe:
„Senn bie Hevren He**en ftnb, fo ftnb bieSRettfden SRenfd)en",