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Will man unsrer Zeitrechnung erste fünf Jahrhunderte halten zu den
fünf ihnen vorausgegangnen, so werden an fülle welthistorischer Begebenhei
ten von diesen jene weit übertroffen. Der Perser kriege mit den Hellenen,
Alexanders unsterbliche thaten und die volle kraftentfaltung des römischen
reichs lassen um ein grofses hinter sich das verworrene und verdeckte trei
ben der deutschen Völker, die bis zum J. 500 in Europa gewaltig werden,
so viel erhebendes und folgenreiches von Arminius, Hermanrich, Alarich,
ülfila, Chlodowich bis auf Theodorich in die rollen der geschichte einge
zeichnet steht. Vor der rohen aber gesunden gewalt der Deutschen sollte
in diesen unvollendeten Zeiten der riesenleib des Römerreichs zusammenbre
chen, und unter allen deutschen Stämmen erscheint damals der zuletztziehende
gothische wie der begabteste so der stärkste und frischeste. Was Cimbern
und Teutonen nicht vermochten, den Franken aber am ende gelang, hatten
Gothen, deren zahllose heere über die den Römern längst streitig gemachte
Donau immer unwiderstehlicher einbrachen, bereits ausgerichtet, und nachdem
grofse striche Griechenlands von ihnen durchzogen waren, allmälich in Ita
lien, Gallien, Spanien und auf afrikanischer Westküste fufs gefafst, während an
dere ihrer häufen länder der Ostsee und nordsee füllten( 1 ). Solch ein rührsa-
mes, kampf und gefahr suchendes volk, aus dessen letzten tagen Procop uns
die heldenmütigsten, ergreifendsten züge bewahrt, kann nicht im ersten oder
zweiten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung zu thaten schlag auf schlag erwacht
sein, es mufs sich schon in der vorausgegangnen zeit neben Griechen und
Römern allenthalben geregt und hervorgethan haben.
Von Jeher pflegte der Deutsche an grofse Völker, die ihm in Bildung
überlegen waren, sich zu schliefsen, und wahrscheinlich wäre Byzanz wie Rom
früher gesunken, hätten sie nicht die leibliche kraft deutscher Stämme ma-
nigfach in ihren dienst zu verwenden verstanden, so dafs deutsche krieger,
die ihren oberherrn oder Bundesgenossen anhiengen, lange zeit gebraucht
wurden, die angriffe und einfälle ihrer unabhängig und frei gebliebnen stamm-
(*) die grofse Volksmenge der Gothen ergibt sich allenthalben; es genüge hier ans
Strabo p. 305 anzuführen: av£jr J 3’£v~sg ovu ln\ ttX&ittov ol ts Tztcci, cl ~s Aayoi, äu-rs ycu
sty.ort jxv^icz^ag zhtt'cIJlttsiv cr~oa~iag, vvv otcv elg TZTTccoccg jrjgtuüug cr'jvsTTCikuzvoi rvyyjli/ovcru
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TsQucivuv IXmSceg, TtoXsfMwv ovtuov Toig e Pufj.cuotg, woraus wieder das enge band hervorgeht
zwischen den Geten, Dakern und den übrigen Germanen.
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