Full text: Deutsche Grenzalterthümer

Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Dr 197 
deutsche grenzalterthümer. 
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auf der davon benannten nabelstelle zu Delphi zusammentrafen. Dieser hei 
lige ofjicpaXog, ein weifser, wie ein bienenkorb gebildeter stein gab gleichsam 
die grenze an ( 1 ). In der Schweiz wiederholt sich an mehr als einem ort 
die rührende meldung von einem grenzlauf, den zwei männer aus den strei 
tenden marken vollbrachten. Als die Graubündner von Maienfeld mit dem 
fürsten von Lichtenstein uneins wurden, vertrug man sich dahin, dafs zu 
gleicher stunde zwei läufer aus beiden orten gegeneinander rennen und da, 
wo sie sich begegnen würden, immerwährend diel ander geschieden sein sollen. 
Unter grofsem zustrom des versammelten volks brachen zwei rüstige jüuglinge 
auf und sparten ihre schritte nicht; aber berganklimmend gewahrte der Mai 
enfelder den von Balzers, der schon den gipfel erstiegen hatte und herab 
eilte. Laut klagend schrie er ihm entgegen; das bewegte dem Balzerner, 
der schon viel gewonnen hatte, das herz, und er verhiefs seinem gegner so viel 
landes zurückzugeben, als er ihn auf die Schulter nehmend im laufe noch 
hinantragen würde. Mutig rafte sich der Maienberger auf und klomm mit 
der schweren last nicht blofs zur höhe des steilen bergs, sondern auch noch 
ein stück auf der andern Seite hinab bis dahin wo ein quell in grüner wiese 
springt, da sank er ausathmend nieder, und da steht noch heute der mark- 
stein, auf der einen seite mit dem fürstlichen wappen, auf der andern mit 
der inschrift 'alt fri Rhätieyt 3 ( 2 ). 
Das ist noch schöner ausgeschmückt in der sage von einem grenzstreit 
zwischen Uri und Glarus. Biedermänner sprachen aus, zur tag und nacht 
gleiche solle von jedem theil früh morgens beim ersten hankrat ein felsgänger 
sich erheben, nach jenseits laufen, und wo beide männer auf einander 
stiefsen, die grenze bleiben. Jedes volk wählte nun seinen mann und sorg 
sam den hahn, der den tag anzukrähen hatte und sich nicht verschlafen durfte. 
Die Urner aber nahmen den hahn, setzten ihn in einen korb und gaben ihm 
sparsam zu essen und zu saufen, weil sie glaubten hunger und durst müsse 
ihn früher wecken. Die Glarner dagegen fütterten und mästeten ihren hahn, 
dafs er freudig den frühen morgen grüfse. Als nun der herbst kam und der 
bestimmte tag erschien, geschah es, dafs zu Altdorf der schmachtende 
hahn zuerst erkrähte, da es kaum dämmerte, und froh brach der Urner fel- 
( 1 ) Vgl. Pausanias 10, 16. 
( 2 ) Alfons von Flugi volkssagen /von Graubünden 101. 
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