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J. Grimm über zwei entdeckte Gedichte
Zwar in den Formen weichen beide nicht auffallend ab, allein die Fassung
jenes ist metrisch vollendeter, eigenthümlich gedrängt und körnig, die des
andern flacher gehalten, auch nicht überall in den Füfsen und Einschnitten
der Verse gerecht. Es blieb bisher unhervorgehoben, dafs am Schlüsse des
ersten der Buchstabe H steht, dessen eigentlicher Sinn uns wol immerdar
ein Räthsel sein wird. Kaum mag dies H den Namen eines Dichters, oder
den eines gröfseren Werkes anzeigen, woraus jene vier Zeilen entnommen
sind. Das zweite Gedicht hat am Ende keinen solchen Buchstaben, wol
aber ist das unmittelbar folgende, aus derselben Feder geflossene lateinisch
0JL JVynt) ^ christliche Gebet unten durch ein Monogramm bezeichnet, das ich nicht si
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i eher verstehe. Soll es, und ebenso das H, den Anfang einer christlichen
und heidnischen Anrufung ausdrücken?
eint' p£Y Im ersten Gedicht scheinen die Formen eiris, aduoder (uoder), hepti-
dun, lezidun, cuniowidi, haptband von hohem Alter; warum sollten diese
Zeilen nicht schon zwei, drei hundert Jahre vor der Abschrift, welche sie
uns aufbewahrt, dagewesen sein? Auch das andere Lied liefert Dativformen
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holza, bena, bluoda, wie sie im zehnten Jh. gebrachen. Dem Dat. PI. ge
ben beide Gedichte schon n statt m: bandun, wigandun, geliden (ahd. kili-
dim.) Zu bedauern, dafs nirgends ein Nom. PI. Masc. vorkommt. Auch
das zweite Gedicht mufs aus Gründen seines Inhalts weit über das zehnte Jh.
hinauf gesetzt werden.
Noch mehr als das Zeitalter läge daran die Gegend und das Volk zu
ermitteln, unter welchem diese Lieder entstanden. Weder rein ahd. noch
rein alts. Mundart waltet in ihnen, das leuchtet ein. Die Sprache schwebt
zwischen beiden. Neben ei in eiris zeigt sie e in ben, neben uo in bluot,
vuoz, guol ein ö in Wodan. In thu für thuo, tho ist blofses u, in cuonio-
widi uo statt u. Der Schreiber wüste nicht recht wie. Die mediae b, d, g
passen zu sächsischen Denkmälern, doch auch zu manchen hochdeutschen:
band, ben, idis, gelimida, widi, ende, galan, gunt. Unhochdeutsche tenuis
ist in hapt, renki, aber unsächsische aspirata in zi, säzun, holz, vuoz, lezian,
auch in Phol ist hochd. asp. und Pol würde sich der Alliteration auf vuoz
versagen. Unsicher wechseln d und th in du, thu, demo; sogar sinth mit
gunt. Das Pron. he hält sächs. Form statt des hochd. er, her, bemerkens-
werth ist en für ina eum (freilich nur in der Anlehnung beguolen), era für
ira ejus f. Im PI. adj. sumä ist die Flexion sächsisch, die ahd. forderte hier