183
Landesmuseums nennen, mit zu versorgen; die spätere Doppelrolle der Kasseler
Bibliotheksdirektoren, nennen wir Rommel, Völkel, nämlich den Kunstsamm
lungen und der Bibliothek vorzustehen, ist hier schon vorgeprägt. Beide
Institutionen sind ja auch bis 1913 immer unter einem Dach - das war später das
Museum Fridericianum - untergebracht gewesen. Erst dann dehnte sich die
Bibliothek auf das ganze Gebäude aus; es ist ein ewiger Jammer, daß uns dieser
prächtige Bau verloren gegangen ist.
Wilhelm war also emsig auf die Vermehrung seiner Kasseler Büchersamm
lung bedacht. Er kannte genau die Bestände der Marburger Universitätsbiblio
thek, von denen er glaubte, daß sie durchaus nicht alle in Marburg stehen
müßten. So schrieb er am 20. 1. 1582 jenen bekannten Brief an seinen Landgra
fenbruder Ludwig, der in Marburg residierte, daß er gerne hätte, nicht allein die
Authores, so man noch in Druck findet, vnndtzu bekommen seindt, Sondern auch
was vor Zeitten die Munche geschrieben, die nicht mehr gedruckt, vielweniger
gelesen werden und fügt eine Liste Libri ex Bibliotheca Marpurgensi huc
transferendi bei. Ludwig zeigt seines Bruders Wunsch denen professoribus an,
und am 28. 1. 1582 hat er ermelte Bücher verwarlich eingemacht und durch
unsern Pirschgarn nach Kassel geschickt. Diese beiden erwähnten Listen, zumal
aber die der transmissi, stellen das erste Bücherverzeichnis dar, mit dem unsere
Bibliothek aufwarten kann. Natürlich ist es kein Katalog, aber letzten Endes kann
es doch dafür genommen werden. Von den 90 aufgeführten Werken, die in 56
Bänden großenteils ,,in Brettern gebunden“ waren, ließen sich in dem erhaltenen
Landesbibliothekskatalog noch 21 nachweisen, bei den übrigen sind die „Titel
aufnahmen“ Landgraf Ludwigs so schlecht, daß wir die Werke nicht mehr sicher
identifizieren können. Immerhin, 90 von den geschätzten 5-600 Bänden der
neuen Kasseler Bibliothek können wir, wenn auch nicht im Detail, so doch in
Hinsicht auf die Beschaffungspolitik aufzählen. Landgraf Wilhelm hatte sie sich
ganz explicit herausgesucht, und wenn man sich noch einmal die Bucheinkäufe
vergegenwärtigt, die er, wie erwähnt, anderweits tätigte, so läßt sich für unsere
Bibliothek mit Sicherheit sagen: Sie ist planvoll, am Bedarf orientiert entstanden,
sie war kein Zufallsprodukt und kein Repräsentationsgebilde, wie es oft die
Adelsbibliotheken späterer Zeiten, namentlich des 18. und beginnenden 19. Jahr
hunderts, sind.
Wieviel man aus noch unpräziseren Angaben, als hier Landgraf Ludwig
gemacht hatte, herausholen kann, hat LUDWIG DENECKE, der erste Direktor der
1957 zusammengelegten Murhardschen und Landesbibliothek 1976 gezeigt: 1968
hatte er im Handschriftenmagazin unserer Bibliothek ein Pergament-Quinio mit
einem knappen Verzeichnis von 203 Handschriften gefunden, das der Fritzlarer
Kapitular und Scholaster Johann Philipp von Speckmann (1713-1776) 1774 im
St. Peters-Kollegiatstift zu Fritzlar erstellt hatte. Denecke nennt diese Entdek-
kung selbst einen jener guten Zufälle, eine Formulierung, die auch die Brüder
Grimm gebraucht hatten, als sie 1816 auf die Kasseler Märchenfrau Dorothea
Viehmann stießen"'; aber hier wie dort gehörte zum „guten Zufall“ das Auge, ihn
zu entdecken. Speckmann hatte das Verzeichnis angelegt, als er daran ging, die
auch zu dieser Zeit noch reichen Fritzlarer Handschriftenbestände neu zu
ordnen. Sie waren zuvor in der Stiftsbibliothek mehr schlecht als recht unter
einem schadhaften Dach aufbewahrt worden und vollkommen durcheinander;
1742 war das Obergebäude der Stiftsbibliothek oberhalb des Kreuzganges
eingestürzt, und man hatte zwei Wagen voll Bücher, die unbrauchbar geworden
waren, weggeworfen. Ein unschätzbarer Verlust also durch grobe Nachlässigkeit,
vom einstigen Ruhm des Stiftes war nichts mehr übrig geblieben. Zuvor schon im
Jahre 1724 hatte sich der Mainzer Erzbischof und Kurfürst Franz von Schönborn
(1655-1729), ein Bibliophile reinsten Wassers, 48 Bände, Drucke und Hand
schriften ausbedungen. Am 8. 12. 1724 schreibt er von Bamberg aus an das
Domkapitel in Fritzlar ... indeme Euch doch diese unlesbahre alte schrifft zu
keinem diensamen gebrauch genützt haben würde, Unß aber in Unsere kleine