Full text: 400 Jahre Landesbibliothek

Systematik eingeführt wurde, es ist das Bemühen eines durchaus gebildeten 
Mannes, sich in den Augen eines frankophilen, ja frankomanischen Landgrafen 
zu profilieren. Bücher zum Zweck der Draperie, Goethe nach laufendem Meter. 
Die einmalige Chance, die sich mit dem Umzug der Bibliothek vom Marstall in 
das Museum Fridericianum geboten hatte, war nicht genutzt worden. 
So ist Strieders Feuereifer durchaus zu verstehen, mit dem er sich nach 
dem Ableben des Landgrafen und nachdem Luchet die Bibliotheksschlüssel hatte 
abgeben müssen (10. 2. 1786), an die Neuverzeichnung der in den schönen 
Bibliotheksräumen aufgestellten Bände machte. Die neue Systematik, die sich in 
vielen Punkten an die alte der Vor-Luchet-Zeit anlehnte, lebt in einigen Gebieten, 
wenn auch z. T. im 19. Jahrhundert unter Bernhardi spezifiziert, noch heute 
fort: bei den Hassiaca und bei den Handschriften. Der 80-bändige systematische 
Katalog, der ganz überwiegend Bücher verzeichnet, die der schrecklichen 
Brandnacht von 1941 zum Opfer fielen, ist heute eine Autographensammlung 
von unschätzbarem Wert. Darüber hinaus vermittelt dieses imposante Werk einen 
Eindruck von dem großen Atem, den die Bibliothekare jener Tage auch in 
mageren Zeiten hatten - und hierzulande waren die Zeiten meist mager -, einen 
Eindruck aber auch von der Sicherheit, den Ort zu wissen, wo das ihnen 
anvertraute Gut unterzubringen sei. Der Begriff der Wegwerfgesellschaft war 
noch nicht erfunden. 
Bibliotheken können von ungefähr entstehen, beispielsweise indem sich in 
Amtsstuben Schriftstücke ansammeln, Akten, Nachschlagewerke, indem irgend 
jemand mehr oder weniger zufällig zu Büchern kommt usw. Hinter dem 
Entstehen einer Bibliothek kann aber auch ein planender, ordnender Wille eines 
einzelnen stehen; und das ist hier in Kassel der Fall gewesen. Landgraf Wilhelm 
IV. fand, er müsse einfach in seiner Residenz eine Bibliothek besitzen, auf die er, 
der gebildete Landesfürst, jederzeit zurückgreifen könne. In Kassel durfte 
Wilhelm auf einer Bibliothek aufbauen, die ihm sein Vater, Philipp der 
Großmütige, hinterlassen hatte und die ähnlich wie die Bibliothek der Universität 
Marburg, die von Philipp gegründet worden war, entstanden ist: nämlich aus 
säkularisiertem Klosterbesitz. Es handelt sich um die in der Martinskirche 
untergebrachte Bibliothek. Ein paar Handschriften können wir mit einiger 
Sicherheit dieser Büchersammlung zuweisen. Hier muß eingefügt werden, daß es 
gerade in Kassel außerordentlich schwierig ist, geradezu detektivischen Spürsin 
nes bedarf, den Weg eines unserer Bücher bis hinauf zum Erwerb oder zur 
Entstehung zu verfolgen, denn fast alle etwa vorhandenen Unterlagen sind 
verbrannt; auch der reiche Aktenschatz des Staatsarchivs Marburg, dem wir so 
unendlich viel verdanken - dem Aktenschatz und der ganz außergewöhnlichen 
Hilfsbereitschaft der Marburger Archivare - kann oft nicht weiterhelfen. 
Wilhelm und sein Sohn, Moritz der Gelehrte, gehen mit Feuereifer daran, 
die Bestände zu mehren, es werden Kontakte geknüpft wie mit dem Basler 
Professor Francois Hotman, der ihm 1580-81 ganz gezielt reformiert-theologi- 
sches Schrifttum beschaffen soll, 1575 vermittelt Martin Fugger Buchkäufe in 
Augsburg, Venedig usw., Buchmessen werden frequentiert, von der Herbstmesse 
Frankfurt 1582 werden 6 V2 Zentner Bücher nach Kassel auf den Weg gegeben. 
Die erste Nachricht von der durch Wilhelm IV. betriebenen Neugründung einer 
Kasseler Bibliothek erhalten wir am 10. 6. 1580 durch einen Brief an erwähnten 
Hotman. Sie soll in dem neu errichteten Kanzleigebäude, dem Renthof, 
untergebracht werden, zusammen mit Verwaltung, Jurisdiktion und Münze. Am 
20. November 1580 wird das Gebäude feierlich seiner Bestimmung übergeben. 
Dieser Vorgang ist oft und gut dargestellt worden, doch mußten wir seiner heute 
wenigstens kurz Erwähnung tun. Der ehrwürdige JOHANNES BUCH aus Gießen - 
nomen est omen -, 1515 geboren, 1538 schon Lehrer am Pädagogium in 
Marburg, seit 1540 Prinzenerzieher, dann Ratsherr in Kassel usw., wird der erste 
Bibliothekar und versieht diese Stelle mit Unterbrechungen bis zu seinem Tode im 
September 1599. Er hat das, was wir heute das Physikalische Kabinett des
	        
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