Full text: 400 Jahre Landesbibliothek

engagiert-kritisch begleitet wurde, das war so bemerkenswert, daß man getrost 
der Verlockung widerstehen kann, ein Jahr des Glanzes hier zur Demonstration 
herauszugreifen. Intendant Klitsch führte die gestärkte Bindung des Kasseler 
Publikums an sein Theater ... nicht zum wenigsten auf das durch den Kampf um 
das Theater und die Übernahme in städtische Verwaltung gestärkte Gefühl, das 
Theater gehöre irgendwie dem Publikum, nicht mehr einer von Berlin aus 
disponierenden staatlichen Behörde zurück (anläßlich einer Pressekonferenz am 
31. 10. 1932, s, Kasseler Neueste Nachrichten 1. 11. 1932). 
In der Saison 1931/32 wurden unter anderem gegeben „Siegfried“, 
„Götterdämmerung“, „Die vier Grobiane“, „Die Macht des Schicksals“, 
„Turandot“, „Intermezzo“, „Jenufa“, die Straußsche Bearbeitung von Mozarts 
„Idomeneo“, ein damals nicht geglückter Wiederbelebungsversuch. Struck 
bemerkt zu der noch von Friederici inszenierten Einstudierung: ... so entstand 
ein Stück absolutes Operntheater... (K. N. N. 9. 3. 1932). Der Straußschen 
Bearbeitung selbst steht Struck kritisch gegenüber: Musikalisch zog die Partitur 
gerade Strauß an, weil sie die farbenreichste und klangschwelgerischste ist, die 
Mozart komponierte. Über das Instrumentieren und Einfügungen neuer Musik 
stücke ist er nicht glücklich: Man merkt hier nur allzu deutlich den Bruch und ist 
um Mozarts willen verstimmt, mag die Verwandtschaft der Kunst leider noch so 
groß sein und der Rosenkavalier die leidenschaftlichste Mozart-Sehnsucht unserer 
Tage entfacht haben, so unbekümmert darf man doch nicht das Bild verfälschen 
und über den Schatten eines Einzigen und unerreichbaren Genius springen. Struck 
war Straußverehrer, aber bei Mozart kannte er keinen Pardon. 
Über Flotows „Martha“, die Anfang Februar 1932 vor allem als 
„Spielplananreiz“ gegeben wurde, heißt es bei Struck am 8. 2. (K. N. N.): Man 
meinte wohl in einem Gefühl ausgleichender Gerechtigkeit, wenn dem Schauspiel 
sein ,Altheidelberg‘ recht ist, dann kann der Oper die gefühlsseelige ,Martha‘ nur 
billig sein. Man weiß wie gern unsere Großeltern sie am liebsten da capo 
entschwinden ließen und wie bei der irischen Volksweise ihnen das Herz sehr weit 
wurde. Ein gewisser Hans von Bülow meinte von dem Lied allerdings gehässig, 
daß hier ein Stern auf einen Misthaufen gefallen sei... Aber das Publikum war 
begeistert, und das versöhne in dieser angespannten Situation, so meinte Struck, 
auch den hartgesottensten Kritiker. Mit Ende der Spielzeit 1934/35 ging das 
Theater aus städtischer Regie wieder an das Land Preußen über. Damit war diese 
Aera des Provinzialismus beendet, es konnte unter der Intendanz von Franz 
Ulbrich wieder den Platz einnehmen, der ihm gebührte. 
Bei allem Interesse für die aktuellen Fragen in Schauspiel und Oper galt 
Strucks Vorliebe jedoch eindeutig dem Konzert, dem Sinfoniekonzert, dem 
Kirchen-, Chor-, Kammer- und Hausmusikkonzert. Besonders in letzterem sah 
er das alte Ideal von der Musik als einer Gesellschaftskunst Wiedererstehen. 
Gerade von Kassel sind da ja durch den Bärenreiter-Verlag die bedeutsamsten 
Impulse ausgegangen, von denen heute alle Welt zehrt. Es ist nicht das geringste 
Verdienst Karl Vötterles, die überschäumenden musikalischen Begeisterungswo 
gen der Jugendbewegung aufgefangen und kanalisiert zu haben, ihrer Besinnung 
auf die Musikkultur der Barock- und Vorbarockzeit praktisch nützbare Formen 
gegeben zu haben. Man mag über die ohne Zweifel vorhandenen - und 
berechtigten - finanziellen Hintergedanken urteilen, wie man will; Musiker, ob 
Laien oder professionelle, greifen immer wieder voller Dankbarkeit auf die 
Früchte dieser Arbeit zurück. Wir sind, soweit wir uns zu diesen Musikfreunden 
rechnen, aufgewachsen mit und in dieser Welt, der diese neuerweckte Musik 
Weite, Innerlichkeit und Glanz gegeben hat. Sie war binnen kurzem selbstver 
ständlich geworden. Gustav Struck hat das - wenn auch in der etwas blumigen 
Sprache jener Zeit - in der Rezension eines Kammermusik-Konzertes, das im 
Januar 1932 im Saale der Landesbibliothek stattfand, unter der Überschrift 
„Musik als Gesellschaftskunst“ so ausgedrückt: Während sich früher die 
Musizierseligkeit und Entdeckerfreude unterhaltsamer Hauskonzerte kaum über
	        
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