Full text: 400 Jahre Landesbibliothek

Bestände förderte, wie er nur konnte. Die Eintragungen im Fremdenbuch des 
Kunsthauses geben ein eindrucksvolles Zeugnis von dem Kreis der Benutzer, 
denen auch Raspe diente. Er stand ja nach den Worten Herders mit allem was 
Kunst und Wissenschaft ist, mehr als in Deutschland allein, in Verbindung. (Hallo 
S. 245.) Er hat Bücher ausgeliehen und versandt, grenzenlos freimütig gegen 
Benutzer, denen damit geholfen werden konnte, wie Herder oder Merck...; er 
hat Besucher geführt und ihnen Zeit und Kraft geopfert, und wenn er klagt, daß 
ihn die Fülle seiner Korrespondenz bedrücke und auffresse, so hat er doch dadurch 
viel Dank erworben und zur Hebung von Kassels Ansehen ganz unverkennbar 
beigetragen. (Hallo S. 46.) Wäre er nicht der Verlockung erlegen, in die er halb 
unverschuldet geriet, der er aber doch schwach genug war, schließlich kräftig 
nachzugeben, wir hätten in Kassel einen mehr gehabt, der nicht nur Geschichten, 
sondern Geschichte machte. Sein Ruf versperrte ihm übrigens auch den Weg auf 
James Cooks Forschungsschiff, das er als weit bekannter Naturwissenschaftler 
hatte besteigen sollen. So fuhr nur Johann Reinhold Förster mit seinem Sohn 
Georg mit, welch letzterer dann übrigens wie Raspe in Kassel Professor am 
Collegium Carolinum wurde. 
Raspe hatte Frau und Kinder im Oktober 1774 nach der Genehmigung der 
Italienreise nach Berlin gebracht, wo auch sein Freund, der Buchhändler und 
Verleger Friedrich Nicolai lebte. Immer wieder zögerte er seine Rückkehr nach 
Kassel hinaus, wohl wissend, daß der Betrug bald aufgedeckt würde. Ahnungslos 
schreibt Friedrich Nicolai an den Arolsener fürstlichen Sekretär Frensdorf, mit 
dem sein Haus in lebhaften geschäftlichen Beziehungen stand, am 18. 2. 1775: 
Hr. Raspe ist schon seit Anfänge des Jahres von hier weg, und soll auf Kosten des 
Landgrafen, eine Reise nach Italien thun. Madame Raspe, ist hier bey ihrem Vater 
geblieben. (StA Marburg 118, 2505). An einigen Revisionssitzungen nimmt er 
noch teil, dann, als er das Unheil ausweichlich auf sich zukommen sieht, 
verschwindet er am 15. 3. 1775. Seine Beichte, ein hochinteressantes Dokument, 
das in ganz charakteristischer Weise Wahrheit mit Dichtung mischt, ist im 
Staatsarchiv Marburg erhalten. 
Der folgende Abschnitt ist etwas heikel, nicht etwa, weil man sich in 
heutigen liberalen Zeiten scheute, sein Auge auf handfeste Erotik zu heften, 
sondern weil man bei diesem Gegenstände verweilen muß, denn der zweite 
Kasseler Bibliothekar, der schriftstellerisch tätig war, tat dies offenbar so gut, daß 
er auch heute noch zu den Klassikern seiner Genres gerechnet wird. Man sehe 
sich nur Verzeichnisse lieferbarer Taschenbücher an, so findet man eine erstaunli 
che Anzahl von erotischen Romanen aus der Feder des ANDREA De NERCIAT, 
eben unseres Kasseler Bibliothekars. Mir wurde in einer Buchhandlung versi 
chert, daß sie „gut gingen“. Die französischen Originalausgaben aus der zweiten 
Hälfte des 18. Jahrhunderts freilich sind nur zu Liebhaberpreisen erhältlich. 
Doch zu Nerciats Kasseler Tätigkeit: 
(*17.4. 1739 Dijon, Reisen, Militärdienst in Dänemark, später in Frankreich, 
Entlassung Dezember 1775, mondänes und abenteuerliches Leben in den Pariser 
Salons, dort Bekanntschaft mit Luchet, 1777 Geheimagent, Februar 1780 auf 
Empfehlung Luchets 2. Bibliothekar in Kassel, Juni 1782 Baudirektor des 
Prinzen von Hessen-Rheinfels-Rotenburg, 1783 Rückkehr nach Paris, wiederum 
Geheimagent, später am Hof von Neapel, dort während der französischen 
Revolution Doppelagent, 1798 Verhaftung, f Januar 1800). 
Dieser Abenteurer also, der nach eigenem Verständnis durchaus kein 
Wüstling war, sondern nur einfach nach der Maxime lebte „erlaubt ist, was 
gefällt“, für den Moral Perversion der Lebensfreude bedeutete, dem die Reibung 
von Hemmungslosigkeit an feinen Formen im Leben die rechte Würze gab, dieser 
Mann also wurde Bibliothekar in Kassel. Er hatte sich mit Theaterstücken in Paris 
einigen Ruf erworben, 1775 seine „Felicia ou mes Fredaines“ veröffentlicht, die 
innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Neuauflagen erlebte. Dieser Roman wird 
immerhin von Christian Barth als einer der Höhepunkte der galanten Literatur
	        
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