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Philipp Losch
oder
Die verkauften Landes
kinder
Philipp Losch (1869-1953) war der landesgeschichtlich orientierte Biblio
thekar par excellence. Er wurde Bibliothekar, nicht weil er sich zu diesem Beruf
als Tätigkeit besonders hingezogen gefühlt hätte, sondern weil er als begeisterter
Kurhesse in der Bibliothek den Quellen für seine Arbeiten am nächsten sein
konnte. Das soll nicht heißen, daß er seinen Beruf vernachlässigt hätte,
menschenscheu im Studierstübchen gesessen habe, ganz im Gegenteil: Kollegen
wie Publikum in Berlin schätzten ihn als immer freundlichen, humorvollen und
sachkundigen Mann mit beneidenswerten Kenntnissen und einem bis ins hohe
Alter ganz erstaunlichen Gedächtnis. Er war eben einer von den Glücklichen, die
Beruf und Neigung in Einklang zu bringen wußten. Sein wissenschaftliches
Interesse galt fast ausschließlich Hessen, und da besonders der zweiten Hälfte des
18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hier legte er die heute noch
grundlegenden Werke vor, hier mußte er aber auch auf jenen Vorgang stoßen, der
in der ganzen Welt als der „Hessische Soldatenhandel“ bekannt ist. So sei denn
dieser Gegenstand exemplarisch für Loschs Arbeiten hervorgehoben.
Subsidienverträge galten im 17. und 18. Jahrhundert als durchaus legale,
völkerrechtlich abgesicherte Mittel der Politik: Die Kosten für den Unterhalt
einer Armee hatte nicht der zu tragen, der die Soldaten stellte, sondern der, der
sie einsetzte. England wurde in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts aus eigener
Kraft nicht mit der amerikanischen Insurrektion fertig, und so fuhr Oberst
William Fawcett Ende 1775 auf den Kontinent, um vor allem deutsche Fürsten zu
bewegen, gegen Subsidienzahlung Truppen zu stellen. Den besten Abschluß
tätigte er mit Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel am 15. 1. 1776: 12000
Mann = das sind drei Viertel des stehenden Heeres, wurden den Engländern zur
Verfügung gestellt. Gegenleistungen waren: Zahlung ausstehender Forderungen
aus dem Siebenjährigen Kriege, für jeden verpflichteten Soldaten ein Werbegeld
von 30 Talern und jährlich 450000 Taler in die Hessische Kriegskasse. Daß dieses
ganze Subsidienunternehmen schimpflich sei, darauf kam die öffentliche Meinung
erst recht spät, u. a. durch amerikanische und französische literarische Agitation,
die von einigen deutschen Dichtern des Sturm und Drang wie Schubart, Boie,
Stolberg, später auch Klinger usw. aufgenommen wurde und sich schließlich im
Gedankengut der französischen Revolution konzentrierte. Viele fanden nichts
dabei, daß Soldaten gegen Geld an andere Staaten ausgeliehen wurden, wie ja
auch viele der „verkauften“ Soldaten nichts dabei fanden, auch Seume nicht,
wollte er doch ohnehin gerade, der stickigen Studierluft der Universität entron
nen, 1781 französischer Soldat werden, als ihm hessische Werber über den Weg
kamen und ihn für das Amerikaabenteuer verpflichteten. Er zog offenbar
freiwillig mit, und es ging ihm gut in Amerika. Geschossen hat er dort nur auf
Wild, nicht auf Wilde, geschweige denn auf amerikanische Truppen. Sein
Unglück begann erst, als er nach der Rückkehr aus Amerika in Bremen
desertierte, wie er angab, aus Angst, an die Preußen verkauft zu werden. Denen
aber fiel er gerade dadurch in die Hände.
Losch versuchte zeitlebens, die Legende zu zerstören, als seien die
Hessen, insbesondere Landgraf Friedrich II., die einzigen gewesen, die ihre
Staatskassen durch Subsidienverträge auffüllten. Er weist auch immer wieder
darauf hin, daß dieser „Soldatenhandel“ nicht nur Unglück brachte, sondern
auch einen gewissen Wohlstand im flachen Lande. Es waren vielfach jüngere