108
1708 ließ Landgraf Karl auf der Maderheide bei Gudensberg, jenem alten
kultischen Zentrum Hessens, Grabhügel öffnen und die Ergebnisse systematisch
aufnehmen.
Die Schmincke/Österling-Dissertation ist sozusagen kommentierter Gra
bungsbefund. Daß Schmincke Skelettfunde über den eigentlichen Urnen, Waffen
etc. zeitlich falsch einordnete, mag ihm nicht angelastet werden, weil der Zeit
noch exakte Vorstellungen von archäologischen Schichten fehlten. Eine hervorra
gende Leistung aber war, daß er aufgrund von Vergleichen die Steinbeile als
Waffen erkannte und so dem Irrglauben von den „Donnerkeilen“ ein Ende
bereitete. In diesem Abwerfen mythologischen Ballastes zeigt sich schon die
beginnende Aufklärung. Es geht nicht mehr bloß um die Einordnung des
Aufgefundenen in die Thesen der älteren Literatur, sondern um die exakte
Darstellung dessen, was man mit eigenen Augen gesehen hat. So ist auch
Schminckes Bestreben zu verstehen, das Vorgefundene möglichst genau abzubil
den. Aufgrund dieser Abbildungen in der Schmincke/Österlingschen Disserta
tion ist es heute noch möglich, jene Grabhügel zu rekonstruieren. Kein Vor- und
Frühgeschichtler kommt an Schminckes Ergebnissen vorbei, wiewohl vieles
selbstverständlich überholt ist. Daß der Prophet im eigenen Lande galt, zeigt auch
Simon Louis du Ry’s Erwähnung Schminckes 1778 in der Societe des Antiquites
de Cassel in seinem Bericht über den Grabfund von der Hohen Winde zu Kassel.
(Du Ry war der geniale Baumeister des Landgrafen Friedrich II. von Hessen-
Kassel.)
Wie schon erwähnt, hatte Johann Hermann Schmincke das Unglück, sein
Lebenswerk weitgehend unveröffentlicht hinterlassen zu müssen. Welches Anse
hen er jedoch in Hessen genoß, zeigt ein Blick auf seine vita: Nach dem Studium
der Philosophie, Philologie, Geschichte und Altertumswissenschaften in Mar
burg, Utrecht und Leiden Hofmeister und Erzieher, Bekanntschaft mit so
herausragenden Gestalten wie Johann Georg von Eccard (1664-1730), Gottfried
Wilhelm Leibniz (1646-1716) usw., 16. 2. 1712 mit siebenundzwanzig Jahren
Professor für Geschichte und Beredsamkeit in Marburg, 1717 Hofhistoriograph,
1722 Rektor der Universität Marburg, und nun, was ganz offensichtlich zu dieser
Zeit ein sozialer Aufstieg war, Hessischer Rat und Bibliothekar in Kassel,
daneben Inspektor der Kunstsammlungen in Kassel, eine Funktion, die nach ihm
noch mehrere Bibliothekare innehatten.
Der zweite Bibliothekar in Kassel mit ausgesprochen archäologischen
Interessen war Albert DuNCKER. Auch er begann, wie viele Bibliothekare, als
Lehrer, und zwar in Hanau, später in Wiesbaden, ehe er am 1. 4. 1880 in die
Landesbibliothek Kassel eintrat. Er hatte den Lehrerberuf „ohne alles Bedauern“
verlassen. Was ihm zuvor in Hanau und Wiesbaden die Historie war, die er in
freier Natur vorfand, nämlich die Reste des römischen Limes, das wurden ihm
hier in Kassel die Handschriften. So ist sein stattliches Ouevre eigentlich
zweigeteilt: hie Archäologie, dort Handschriftenkunde und Literaturgeschichte.
Daneben war Duncker der kommunikative Teil der bibliothekarischen Tätigkeit
zugefallen, da der erste Bibliothekar Schubart, der erst am 2. 11. (31. 10.) 1881
pensioniert wurde, sehr „harthörig“ war, für das Benutzungsgeschäft also nicht
eben sehr gut verwendbar. Folgerichtig bemühte sich Duncker darum, die
Handschriftenschätze der Bibliothek einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu
machen; er ließ im Lesesaal der Landesbibliothek im Fridericianum zwei große
Schaupulte aufstellen, in denen eine Auswahl seltener Handschriften und
Drucksachen dem Publikum zu bestimmten Zeiten zugänglich gemacht wurde.
Dabei genügte fortan in den meisten Fällen die Begleitung des Dieners, während
früher jedesmal die betreffenden Gegenstände von den Beamten einzeln hatten
zusammengeholt und vorgelegt werden müssen, unter erheblichem Zeitverluste
und nicht zum Vortheile ihrer Erhaltung. (ZfB 3, 1886, 527/8).
Alle Arbeiten Dunckers zeichnen sich durch Prägnanz der Sprache und
Beherrschung der Literatur aus. Wenn auch sein früher Tod viele Pläne zunichte