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Fotokopie:
Reihe "Ein Blick zurück" in der HNA-Zeitung
Zur Ergänzung -Personen-Schiffahrt im Fuldatal-
NR. 6
SAMSTAG, 8. JANUAR 1994 35
URTEIL DES REICHSGERICHTS
Fahrrecht für beide Fuldaseiten
Von der „Grauen Katze“ geht der Blick über die Fulda nach Spiekershausen. In der Flußmitte
schwimmt das Fährhoot, dahinter ankert der Dampfer „Elsa“. Das Bild ist Anfang des Jahrhun
derts entstanden. Foto: Stadtarchiv
V or kurzem wurde vor dem
Reichsgericht in Leipzig ein
teurer Prozeß entschieden, der
die vielen hiesigen Besucher
der „Grauen Katze“' und des
„Roten Katers“ interessieren
wird“, teilte vor 100 Jahren - im
Januar 1894 - das Casseler Ta
geblatt seinen Lesern mit. Was
war geschehen?
Die Gemeinde Landwehrha
gen, rechts der Fulda im Han
noverschen, hatte vor geraumer
Zeit das Fährrecht über die Ful
da bei Spiekershausen der dor
tigen Kirche (der es zeitweise
zustand) abgekauft. Landwehr
hagen verpachtete die Fähre
und erzielte dadurch in einer
Pachtperiode durchschnittlich
100 Mark Gewinn. Der Wirt
zum „Roten Kater“ auf der lin
ken, der hessischen Fuldaseite
übte ebenfalls das Fährrecht
aus. Landwehrhagen fühlte
sich in seinen Einkünften ge
schmälert und verklagte den
Roten-Kater-Wirt.
EIN BLICK ZURÜCK
(1432)
Der Prozeß durchlief alle In
stanzen bis zum Reichsgericht.
„Das Urteil des Reichsge
richts“, konnte das Tageblatt
nun melden, „ist dahin ergan
gen, daß das Überfahrtsrecht,
was die Gemeinde Landwehr
hagen für sich beanspruchte,
auch die Anwohner auf der lin
ken (hessischen) Seite der Ful
da beanspruchen können. Da
nun die Besitzer der „Grauen
Katze“ und des „Roten Kater“
ihre Gäste umsonst oder gegen
ein geringes Entgeld überset
zen können, so ist die Fährbe-
rechtigung von Landwehrha
gen gegenstandslos geworden.“
Bereits in grauer Vorzeit muß
es in Höhe Spiekershausens ei
nen Fuldaübergang in Form ei
ner Furt gegeben haben. Für
Fußwanderer wurde zeitweise
ein einfacher Steg angelegt der
in Hessen Spicke hieß. Daher
hat der spätere Ort seinen Na
men; Spiekershausen, der sich
allmählich in Spiekershausen
wandelte. Der Steg fiel als dort
eine Mühle angelegt wurde.
Schon als Spiekershausen
1319 erstmals erwähnt wurde,
bestand an der Stelle der Furt
eine Fähre. Herzog Ernst von
Braunschweig überließ die
Fähre 1358 Landwehrhagen.
Spiekershausen entstand da
durch, daß sich an der Fähre
einzelne Leute ansiedelten, die
sie betrieben, - vielleicht auch
Zöllner. Links Hessen - rechts
Braunschweig; da bot sich Spie
kershausen als Grenzort oft zu
Zusammenkünften der Fürsten
beider Länder an.
Im 18. Jahrhundert entwic
kelte sich ein heftiger Verkehr
zwischen Kassel und Spiekers
hausen, der sich stets über die
Fähre vollzog. Die im refor
mierten Kassel lebenden Lu
theraner, die dort ihre Religion
nicht ausüben durften suchten
sonntags die kleine lutherische
Spiekershäuser Kirche auf. Erst
Landgraf Friedrich I. (zugleich
König von Schweden) gestatte
te 1731 den Lutheranern die
freie Religionsausübung (s.a.
Blick zurück 835).
Von 1766 bis 1770 war in Hes
sen-Kassel das Kaffeetrinken
verboten (s. Blick zurück 1122)
- nicht aber in Hannover. So
waren die Kasselaner gezwun
gen ihren Kaffee im hannover
schen Spiekershausen zu
schlürfen, und dorthin gelang
ten sie mit der Fähre.
In der kurhessischen Zeit
wurde Spiekershausen zu ei
nem wahren Schmugglernest.
Kurhessen hatte hohe Zölle auf
alle Kolonialwaren gelegt. Han
nover aber war durch seine Be
ziehungen zu England an der
Erhebung solcher Zölle verhin-
dert.So entwickelte sich gerade
hier an der Fulda bei Spiekers
hausen ein lebhafter Waren
schmuggel.
Die kurhessische Zollverwal
tung ließ Spiekershausen ge
genüber ein besonderes Wacht-
haus für die Grenzaufseher
bauen. Als Hannover 1854 dem
Zollverein beitrat, wurde der
Posten eingezogen und das Ge
bäude als Gasthaus an eine Wir
tin verpachtet. Ihres mürri
schen Wesens und ihrer grauen
Haare wegen nannte man sie
die „graue Katze“. Danach er
hielt dann auch das Lokal sei
nen Namen.
Bald entstand eine weitere
Gaststätte, der „Rote Kater“
(der Wirt trug einen langen ro
ten Bart). In den 60er Jahren
des vorigen Jahrhunderts baute
der Fabrikant Buch aus der
Kasseler Ziegengasse dort das
„Waldschlößchen“. Es sollte ei
gentlich eine Fabrik werden;
aber der Kurfürst versagte die
Genehmigung.
Kein Wunder, daß sich an die
Fähre auch Geschichten - wah
re oder unwahre - knüpfen.
Eine sei erzählt: Der evangeli
sche Pfarrer Dr. Adolf Trepte
1910 bis 1920 Militäroberpfarrer
in Kassel und dann Seelsorger
an der Wehlheider Adventskir-
chen-Gemeinde (s.a. Blick zu
rück 620) besuchte eines Nach
mittags seinen Amtsbruder in
Spiekershausen. Mit dem Fähr-
boot an der „Grauen Katze“ ließ
er sich übersetzen.
Es war schon dunkel, als
Dr. Trepte den Heimweg an
trat. Vom niedersächsischen
Ufer rief er hinüber nach Hes
sen: „Fährmann, hol über!“ Der
fragte, wie ihm der Schnabel
gewachsen war: „Wer isses
dann?“ Der Pfarrer antwortete:
„Miiitäroberpfarrer Konsistori-
alrat Doktor Trepte!“ Da rief
der Fährmann: „Das sinn mäh
ze vähle!“ (rff)