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. . . zig Millionen Deutsche Mark verschuldete Stadt Kassel
überhaupt die von unserer Gemeinde geplanten Vorhaben (u. a.
das Sport- und Kulturzentrum mitGroß-Sporthalle) durchführen?
Würde die Erschließung weiterer Baugebiete und damit auch
der Ausbau unserer Straßen und Bürgersteige in dem Tempo
weiter gehen, wie das in der Vergangenheit geschehen und für
die Zukunft geplant ist? Diese Fragen müssen doch eindeutig
mit NEIN beantwortet werden. Vor allen Dingen auch dann,
wenn man an den schleppenden und noch garnirht abgeschlos
senen Auf- und Ausbau der vor dem 2. Weltkrieg eingegliederten
Vorortgemeinden denkt. . *
Obwohl unsere Gemeinde in der Vergangenheit bewiesen hat,
daß sie sich selbst verwalten kann und wirtschaftliche und struk
turelle Eigenständigkeit besitzt, ist sie selbst bisher nicht ein
einziges Mal gefragt worden, welche Vorstellungen sie zu der
Gebiets- und Verwaltungsreform hat. Immerhin war unsere
Gemeinde Ende des 2. Weltkrieges zu 90% zerstört. In den
verflossenen 26 Jahren ist aus dem Trümmerhaufen eine auf
strebende, saubere, blühende, finanziell gesunde, kurz gesagt
vorbildliche Gemeinde geworden. Das wurde vorwiegend aus
eigener Kraft geschaffen und der Tatendrang ist noch längst
nicht erschöpft. Das „Bielefeld-Papier" will nun aber unter all
das einen Strich ziehen und unsere Gemeinde dadurch, wenn
auch nicht ins finstere Mittelalter zurücksetzen, so doch in
Bahnen lenken, die einen Stillgang aller Schaffensfreude be
deuten würde.
Das „Papier“ kann daher nur den Eindruck entstehen lassen,
daß der in ihm abgefaßte Text zu Gunsten der Stadt Kassel zu
geschneidert wurde. Wie ist es sonst zu erklären, daß die Auto
bahn einmal als nicht hindernd (im Falle Lohfelden) und einmal
als hindernd (in unserem Falle) dargestellt wird.
Sandershausen verfügt über ausreichende infrastrukturelle Ein
richtungen und über eine gut finanzielle Leistungsfähigkeit.
Alle 4 zur Eingemeindung vorgeschlagenen Gemeinden schla
gen im Etat des Landkreises Kassel immerhin mit 27% zu
Buche. Diese 27% würden der Stadt Kassel in Anbetracht der
finanziellen Misere gut stehen, die Finanzkraft des neuen
Großkreises Kassel-Land aber entscheidend schwächen. Und es
wäre doch Utopie zu glauben, daß diese 27% nach einer Ein
gliederung ausschließlich den 4 Gemeinden zugute kommen
würden. >
Der ganze Inhalt des Vorschlagpapiers widerspricht den Tat
sachen, wenn man die eingangs aufgeführten Gründe des In
nenministers, die für eine Eingliederung sprechen, und die
Gegebenheit gegenüberstellt. Dies sei nachfolgend geschehen:
1. Die Bundesautobahn steht einer weiteren Siedlungsentwick
lung keinesfalls entgegen, zumal das Papier im Falle „Loh
felden" genau das Gegenteil ausführt. Dleseits der Auto
bahn lat noch ausreichendes Gelände vorhanden und die
Gemarkungsflächen jenseits der Autobahn stehen aus agrar
politischen Gründen der Landwirtschaft zur Verfügung.
2. Die bauliche Anbindung an den Kasseler Stadtteil Betten
hausen ist schon vor Jahren erfolgt, ohne daß daraus schon
früher einmal eine Eingliederung hergeleitet wurde.
3. Jede Gemeinde ist heute unmittelbar mit einer oder mehre
ren Gemeinden straßöimiäßig verbunden. Wir nicht nur mit
der Stadt Kassel, sondern auch mit den Gemeinden Spie
kershausen, Landwehrhagen und Heiligenrode. Hieraus ab
zuleiten, Straßenverbindungen müßten zu Eingemeindungen
führen, ist abwegig, weil man andererseits auch sagen könn
te, Kassel wegen dieser Straße z. B. in den Bereich Nieder
sachsen einzugliedern. Auch das müßte als irreal bezeichnet
werden.
4. Zum Grundversorgungsbereich der Stadt Kassel hat Sanders
hausen nie gehört. Wir haben eigene, moderne Versorgungs
anlagen. Auch kann von einer Gasversorgung durch die Stadt
Kassel nicht gesprochen werden, da einmal nur wenige
Straßen angeschlossen sind und wir das gleiche Ferngas
auch durch den Gasversorgungsverband des Landkreises
Kassel beziehen könnten.
In das Verkehrsnetz der KVG sind wir zwar einbezogen.
Jeder Fahrgast muß aber dafür zahlen. Die KVG verkauft
also ihre Dienstleistungen. Durch einen Übergang auf einen
anderen Verkehrsträger (Bundespost) wäre jederzeit eine
Änderung möglich, zumal die KVG vor Jahren schon einmal
ihre Linie „Rund um den Kaufunger Wald“ an die Bundes
post abgegeben hat.
5. Sandershausen gehört dem Abwasserverband des Landkrei
ses Kassel an. Dieser Verband wird für den Bau einer Klär
anlage und Beseitigung der Abwässer sorgen. Das Kanal
netz der Gemeinde ist in Ordnung. Gerade die Stadt Kassel
hat bisher durch immer wiederkehrende neue Schwierigkei
ten den Bau der Kläranlage verhindert. Jetzt soll es aber
sinnvoll sein, das Problem mit der Stadt Kassel gemeinsam
zu lösen. Welch ein Widerspruch!
t
6. Für die Gemeinde Sandershausen hat die Fuldaregulierung
überhaupt keine Bedeutung. Davon werden ausschließlich
Gemarkungsflächen der Stadt Kassel betroffen.
Es gibt noch sehr viele Gründe, die für eine Erhaltung unserer
Selbständigkeit sprechen. Man muß sich nur vor Augen führen,
was Sandershausen alles geschaffen und der Bevölkerung zu
bieten hat:
Wir haben eine gut ausgebaute Grund- und Hauptschule, 2 Kin
dergärten (mit 200 Plätzen), 8 Kinderspielplätze, 1 Schwimmbad
(22 m x 50 m groß), 2 Turnhallen, Sportplatz (mit Flutlichtanlage
und Umkleidehalle), 2 Säle (für 600 und 300 Personen), 1 Feuer
wehr-Gerätehaus und eine zentrale Warnanlage, eine gut aus
gerüstete Feuerwehr, 1 Apotheke, 1 Drogerie, 2 prakt. Ärzte,
2 Zahnärzte, 2 Geldinstitute, 1 Poststelle und je 1 Ortsgruppe
des ASB und DRK.
Die Kinder für weiterführende Schulen besuchen die Gesamt
schule in Heiligenrode. Das Schulproblem ist also gelöst; das
Soll an Kindergartenplätze erfüllt. Das Schwimmbad befindet
sich in einem ausgezeichneten Zustand und ist praktisch Mittel
punkt der umliegenden Gemeinden. Unsere Wasserversorgung
mit 2 Tiefbrunnen und 2 Hochbehältern ist in Ordnung und für
die Zukunft garantiert. Unser Straßennetz ist ausgebaut. Fried
hof und Leichenhalle sind vorhanden. Gelände für eine Erwei
terung des Friedhofes steht zur Verfügung. Ein Sport- und
Kulturzentrum mit Groß-Sporthalle befindet sich in der Planung.
Bei uns sind über 100 kleinere und größere Betriebe seßhaft
geworden; wir verfügen über 1.200 Arbeitsplätze. Unsere Ge
meinde (5.500 Einwohner) wird von nur 6 Bediensteten ver
waltet: die Gesamt-Personalkosten betragen nur 15%, die
reinen Verwaltungskosten nur 7,5%. — Demgegenüber gibt es
Städte deren Personalkosten bei 50% liegen. — Die Verschul
dung unserer Gemeinde ist trotz der geschaffenen kommunalen
Einrichtungen gering. Sie beträgt pro-Kopf nur 130.— DM,
wobei 50% als rentierliche Schulden anzusehen sind.
Zwischen unserer Gemeinde einerseits und den Vereinen und
Verbänden, sowie der Jugend und den alten Bürgern anderer
seits besteht ein ausgezeichneter Kontakt. Dieser wird durch
entsprechende gemeindlich geförderte Veranstaltungen ständig
vertieft und erweitert. Unserer Jugend steht das Kreisjugendheim
„Sensenstein“ und den älteren Bürgern die Kreis-Altenheime
zur Verfügung.
Gerade dieser Kontakt und die gute Zusammenarbeit hat nicht
zuletzt die KULTURGEMEiNSCHAFT SANDERSHAUSEN, der
alle Vereine, Verbände und Organisationen unserer Gemeinde
angehören, veranlaßt, sich in einer einstimmig gefaßten Resolu
tion — die an anderer Stelle dieser Ausgabe veröffentlicht ist —
gegen eine Eingemeindung Sandershausen in die Stadt Kassel
auszusprechen. Die Kulturgemeinschaft befürchtet zu Recht,
daß das Vereinsleben rückläufig sein wird. Eine Stadt Kassel
könnte den Vereinen, Verbänden und Organisationen nie die
Förderung zu Teil werden lassen, wie das seit Jahrzehnten
durch unsere Gemeinde geschehen ist.
Zusammenfassend muß ich also sagen, daß unsere Gemeinde
sowohl strukturell als auch finanziell eine gesunde und von der
Stadt Kassel unabhängige Gemeinde ist. Jeder Mitbürger trägt
durch seine Arbeit, soweit diese im Bereich der Stadt Kassel
liegt, schon jetzt zur Steigerung des Sozialprodukts und zur
Erhöhung der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Stadt Kassel
bei. Das gleiche gilt durch den Einkauf und die Abnahme der
Produktions- und Handelsgüter. Durch eine Eingemeindung
kann diese Mitarbeit und der Einkauf weder gesteigert noch
produktiver werden.
Sandershausen kann — wie schon aus dem Größenverhältnis
zur Stadt Kassel ersichtlich — für die Stadt kein attraktives Er
weiterungsgebiet sein, zumal die Stadt selbst immer wieder
betont, daß Eingemeindungen sie nur belasten. Es dürfte aber
zutreffen, daß die von Sandershausen auf das ländlich-nieder
sächsische Obergericht ausgehende Anziehungskraft im Rah
men einer Länder-Neugliederung für unsere Gemeinde und
ganz Nordhessen eine nicht zu unterschätzende Entwicklungs
tendenz zeigt.
Die Gemeinde Sandershausen, deren kommunale Ausstattung
gesund und bürgernah ist, hat bewiesen, daß sie bei sparsam
ster Haushaltsführung alle gesellschaftspolitischen Einrichtun
gen ohne größere überregionale Zuschüsse in der Vergangen
heit geschaffen hat. Die Gesamtstruktur und die damit verbun
dene Leistungsfähigkeit sind Garanten dafür, daß sie dies auch
In Zukunft schafft, selbst wenn auf sie im Rahmen des Funk
tionalreformprogrammes weitere zusätzliche Aufgaben der Da
seinsfürsorge und -versorge zukommen sollten.
Einer solchen Gemeinde die Eigenständigkeit zu nehmen, steht
Im Widerspruch zu allen politischen Aussagen, zum kommunal
politischen Verantwortunasbewußtsein und im Hinblick auf die
immer wieder hervorgehobene demokratische Selbstverwaltung
auch konträrzumProgramm unserer hessischen Landesregierung.
Aus allen vorstehenden Gründen daher das NEIN zur Einglie
derung in die Stadt Kassel. Erich Hartung