Full text: Geschichte II (3)

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. . . zig Millionen Deutsche Mark verschuldete Stadt Kassel 
überhaupt die von unserer Gemeinde geplanten Vorhaben (u. a. 
das Sport- und Kulturzentrum mitGroß-Sporthalle) durchführen? 
Würde die Erschließung weiterer Baugebiete und damit auch 
der Ausbau unserer Straßen und Bürgersteige in dem Tempo 
weiter gehen, wie das in der Vergangenheit geschehen und für 
die Zukunft geplant ist? Diese Fragen müssen doch eindeutig 
mit NEIN beantwortet werden. Vor allen Dingen auch dann, 
wenn man an den schleppenden und noch garnirht abgeschlos 
senen Auf- und Ausbau der vor dem 2. Weltkrieg eingegliederten 
Vorortgemeinden denkt. . * 
Obwohl unsere Gemeinde in der Vergangenheit bewiesen hat, 
daß sie sich selbst verwalten kann und wirtschaftliche und struk 
turelle Eigenständigkeit besitzt, ist sie selbst bisher nicht ein 
einziges Mal gefragt worden, welche Vorstellungen sie zu der 
Gebiets- und Verwaltungsreform hat. Immerhin war unsere 
Gemeinde Ende des 2. Weltkrieges zu 90% zerstört. In den 
verflossenen 26 Jahren ist aus dem Trümmerhaufen eine auf 
strebende, saubere, blühende, finanziell gesunde, kurz gesagt 
vorbildliche Gemeinde geworden. Das wurde vorwiegend aus 
eigener Kraft geschaffen und der Tatendrang ist noch längst 
nicht erschöpft. Das „Bielefeld-Papier" will nun aber unter all 
das einen Strich ziehen und unsere Gemeinde dadurch, wenn 
auch nicht ins finstere Mittelalter zurücksetzen, so doch in 
Bahnen lenken, die einen Stillgang aller Schaffensfreude be 
deuten würde. 
Das „Papier“ kann daher nur den Eindruck entstehen lassen, 
daß der in ihm abgefaßte Text zu Gunsten der Stadt Kassel zu 
geschneidert wurde. Wie ist es sonst zu erklären, daß die Auto 
bahn einmal als nicht hindernd (im Falle Lohfelden) und einmal 
als hindernd (in unserem Falle) dargestellt wird. 
Sandershausen verfügt über ausreichende infrastrukturelle Ein 
richtungen und über eine gut finanzielle Leistungsfähigkeit. 
Alle 4 zur Eingemeindung vorgeschlagenen Gemeinden schla 
gen im Etat des Landkreises Kassel immerhin mit 27% zu 
Buche. Diese 27% würden der Stadt Kassel in Anbetracht der 
finanziellen Misere gut stehen, die Finanzkraft des neuen 
Großkreises Kassel-Land aber entscheidend schwächen. Und es 
wäre doch Utopie zu glauben, daß diese 27% nach einer Ein 
gliederung ausschließlich den 4 Gemeinden zugute kommen 
würden. > 
Der ganze Inhalt des Vorschlagpapiers widerspricht den Tat 
sachen, wenn man die eingangs aufgeführten Gründe des In 
nenministers, die für eine Eingliederung sprechen, und die 
Gegebenheit gegenüberstellt. Dies sei nachfolgend geschehen: 
1. Die Bundesautobahn steht einer weiteren Siedlungsentwick 
lung keinesfalls entgegen, zumal das Papier im Falle „Loh 
felden" genau das Gegenteil ausführt. Dleseits der Auto 
bahn lat noch ausreichendes Gelände vorhanden und die 
Gemarkungsflächen jenseits der Autobahn stehen aus agrar 
politischen Gründen der Landwirtschaft zur Verfügung. 
2. Die bauliche Anbindung an den Kasseler Stadtteil Betten 
hausen ist schon vor Jahren erfolgt, ohne daß daraus schon 
früher einmal eine Eingliederung hergeleitet wurde. 
3. Jede Gemeinde ist heute unmittelbar mit einer oder mehre 
ren Gemeinden straßöimiäßig verbunden. Wir nicht nur mit 
der Stadt Kassel, sondern auch mit den Gemeinden Spie 
kershausen, Landwehrhagen und Heiligenrode. Hieraus ab 
zuleiten, Straßenverbindungen müßten zu Eingemeindungen 
führen, ist abwegig, weil man andererseits auch sagen könn 
te, Kassel wegen dieser Straße z. B. in den Bereich Nieder 
sachsen einzugliedern. Auch das müßte als irreal bezeichnet 
werden. 
4. Zum Grundversorgungsbereich der Stadt Kassel hat Sanders 
hausen nie gehört. Wir haben eigene, moderne Versorgungs 
anlagen. Auch kann von einer Gasversorgung durch die Stadt 
Kassel nicht gesprochen werden, da einmal nur wenige 
Straßen angeschlossen sind und wir das gleiche Ferngas 
auch durch den Gasversorgungsverband des Landkreises 
Kassel beziehen könnten. 
In das Verkehrsnetz der KVG sind wir zwar einbezogen. 
Jeder Fahrgast muß aber dafür zahlen. Die KVG verkauft 
also ihre Dienstleistungen. Durch einen Übergang auf einen 
anderen Verkehrsträger (Bundespost) wäre jederzeit eine 
Änderung möglich, zumal die KVG vor Jahren schon einmal 
ihre Linie „Rund um den Kaufunger Wald“ an die Bundes 
post abgegeben hat. 
5. Sandershausen gehört dem Abwasserverband des Landkrei 
ses Kassel an. Dieser Verband wird für den Bau einer Klär 
anlage und Beseitigung der Abwässer sorgen. Das Kanal 
netz der Gemeinde ist in Ordnung. Gerade die Stadt Kassel 
hat bisher durch immer wiederkehrende neue Schwierigkei 
ten den Bau der Kläranlage verhindert. Jetzt soll es aber 
sinnvoll sein, das Problem mit der Stadt Kassel gemeinsam 
zu lösen. Welch ein Widerspruch! 
t 
6. Für die Gemeinde Sandershausen hat die Fuldaregulierung 
überhaupt keine Bedeutung. Davon werden ausschließlich 
Gemarkungsflächen der Stadt Kassel betroffen. 
Es gibt noch sehr viele Gründe, die für eine Erhaltung unserer 
Selbständigkeit sprechen. Man muß sich nur vor Augen führen, 
was Sandershausen alles geschaffen und der Bevölkerung zu 
bieten hat: 
Wir haben eine gut ausgebaute Grund- und Hauptschule, 2 Kin 
dergärten (mit 200 Plätzen), 8 Kinderspielplätze, 1 Schwimmbad 
(22 m x 50 m groß), 2 Turnhallen, Sportplatz (mit Flutlichtanlage 
und Umkleidehalle), 2 Säle (für 600 und 300 Personen), 1 Feuer 
wehr-Gerätehaus und eine zentrale Warnanlage, eine gut aus 
gerüstete Feuerwehr, 1 Apotheke, 1 Drogerie, 2 prakt. Ärzte, 
2 Zahnärzte, 2 Geldinstitute, 1 Poststelle und je 1 Ortsgruppe 
des ASB und DRK. 
Die Kinder für weiterführende Schulen besuchen die Gesamt 
schule in Heiligenrode. Das Schulproblem ist also gelöst; das 
Soll an Kindergartenplätze erfüllt. Das Schwimmbad befindet 
sich in einem ausgezeichneten Zustand und ist praktisch Mittel 
punkt der umliegenden Gemeinden. Unsere Wasserversorgung 
mit 2 Tiefbrunnen und 2 Hochbehältern ist in Ordnung und für 
die Zukunft garantiert. Unser Straßennetz ist ausgebaut. Fried 
hof und Leichenhalle sind vorhanden. Gelände für eine Erwei 
terung des Friedhofes steht zur Verfügung. Ein Sport- und 
Kulturzentrum mit Groß-Sporthalle befindet sich in der Planung. 
Bei uns sind über 100 kleinere und größere Betriebe seßhaft 
geworden; wir verfügen über 1.200 Arbeitsplätze. Unsere Ge 
meinde (5.500 Einwohner) wird von nur 6 Bediensteten ver 
waltet: die Gesamt-Personalkosten betragen nur 15%, die 
reinen Verwaltungskosten nur 7,5%. — Demgegenüber gibt es 
Städte deren Personalkosten bei 50% liegen. — Die Verschul 
dung unserer Gemeinde ist trotz der geschaffenen kommunalen 
Einrichtungen gering. Sie beträgt pro-Kopf nur 130.— DM, 
wobei 50% als rentierliche Schulden anzusehen sind. 
Zwischen unserer Gemeinde einerseits und den Vereinen und 
Verbänden, sowie der Jugend und den alten Bürgern anderer 
seits besteht ein ausgezeichneter Kontakt. Dieser wird durch 
entsprechende gemeindlich geförderte Veranstaltungen ständig 
vertieft und erweitert. Unserer Jugend steht das Kreisjugendheim 
„Sensenstein“ und den älteren Bürgern die Kreis-Altenheime 
zur Verfügung. 
Gerade dieser Kontakt und die gute Zusammenarbeit hat nicht 
zuletzt die KULTURGEMEiNSCHAFT SANDERSHAUSEN, der 
alle Vereine, Verbände und Organisationen unserer Gemeinde 
angehören, veranlaßt, sich in einer einstimmig gefaßten Resolu 
tion — die an anderer Stelle dieser Ausgabe veröffentlicht ist — 
gegen eine Eingemeindung Sandershausen in die Stadt Kassel 
auszusprechen. Die Kulturgemeinschaft befürchtet zu Recht, 
daß das Vereinsleben rückläufig sein wird. Eine Stadt Kassel 
könnte den Vereinen, Verbänden und Organisationen nie die 
Förderung zu Teil werden lassen, wie das seit Jahrzehnten 
durch unsere Gemeinde geschehen ist. 
Zusammenfassend muß ich also sagen, daß unsere Gemeinde 
sowohl strukturell als auch finanziell eine gesunde und von der 
Stadt Kassel unabhängige Gemeinde ist. Jeder Mitbürger trägt 
durch seine Arbeit, soweit diese im Bereich der Stadt Kassel 
liegt, schon jetzt zur Steigerung des Sozialprodukts und zur 
Erhöhung der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Stadt Kassel 
bei. Das gleiche gilt durch den Einkauf und die Abnahme der 
Produktions- und Handelsgüter. Durch eine Eingemeindung 
kann diese Mitarbeit und der Einkauf weder gesteigert noch 
produktiver werden. 
Sandershausen kann — wie schon aus dem Größenverhältnis 
zur Stadt Kassel ersichtlich — für die Stadt kein attraktives Er 
weiterungsgebiet sein, zumal die Stadt selbst immer wieder 
betont, daß Eingemeindungen sie nur belasten. Es dürfte aber 
zutreffen, daß die von Sandershausen auf das ländlich-nieder 
sächsische Obergericht ausgehende Anziehungskraft im Rah 
men einer Länder-Neugliederung für unsere Gemeinde und 
ganz Nordhessen eine nicht zu unterschätzende Entwicklungs 
tendenz zeigt. 
Die Gemeinde Sandershausen, deren kommunale Ausstattung 
gesund und bürgernah ist, hat bewiesen, daß sie bei sparsam 
ster Haushaltsführung alle gesellschaftspolitischen Einrichtun 
gen ohne größere überregionale Zuschüsse in der Vergangen 
heit geschaffen hat. Die Gesamtstruktur und die damit verbun 
dene Leistungsfähigkeit sind Garanten dafür, daß sie dies auch 
In Zukunft schafft, selbst wenn auf sie im Rahmen des Funk 
tionalreformprogrammes weitere zusätzliche Aufgaben der Da 
seinsfürsorge und -versorge zukommen sollten. 
Einer solchen Gemeinde die Eigenständigkeit zu nehmen, steht 
Im Widerspruch zu allen politischen Aussagen, zum kommunal 
politischen Verantwortunasbewußtsein und im Hinblick auf die 
immer wieder hervorgehobene demokratische Selbstverwaltung 
auch konträrzumProgramm unserer hessischen Landesregierung. 
Aus allen vorstehenden Gründen daher das NEIN zur Einglie 
derung in die Stadt Kassel. Erich Hartung
	        
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