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Verkleinerte Potokopie
der Serie "Ein Blick zurück"
in der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung
Autor der Serie, Herr Hermsdorf, Archivverwalter der Zeitung.
Es wird die Einweihung des Autohahn-Teilstückes
Kassel-Göttingen beschrieben.
Ein Blick zurück (1187)
Autobahn Kassel-Göttingen eröffnet
„Nun hat auch Kurhessen
mit der Teilstrecke der großen
Nordsüdbahn Hannover-
Frankfurt Anschluß an das
Reichsautobahn-Verkehrsnetz
gefunden. Gestern ist die Strek-
ke Kassel-Göttingen nach ei
nem feierlichen Akt dem öffent
lichen Verkehr übergeben wor
den.” - So wie hier die Kasseler
Neuesten Nachrichten gaben
vor 50 Jahren alle heimischen
Tageszeitungen in meist ganz
seitiger bilderreichen Bericht
erstattung Kunde von der Er
öffnung dieses neuen Auto
bahn-Teilstücks.
Seit dem ersten Spatenstich
(s. Blick zurück 1066) waren
zweieinhalb Jahre vergangen.
Die Macht der Nationalsoziali
sten hatte sich gefestigt, und an
diesem Sonntag, dem 20. Juni
1937, waren die Zehntausende
von Teilnehmern der Eröff
nungsfeier durchweg unifor
miert. Selbst die Arbeiter tru
gen einheitliche Kluft: die der
Deutschen Arbeitsfront: mit
tels dieser Organisation ver
suchten die braunen Machtha
ber, ehemalige Gewerkschafter
aufzuiangen.
Am Ende der von Kassel her-
führenden Zubringerstraße an
der heutigen Anschlußstelle
Kassel-Ost bei Heiligenrode
wehten von Hunderten von
Masten die Hakenkreuzfahnen
in müder Brise: denn es regnete
Bindfäden. In Reih und Glied
standen die Organisationen der
Partei, geschmückt und ausge
richtet die Lastwagen, auf de
nen die Arbeiter nach der Er
öffnung die Autobahn erstmals
befahren sollten. Die Kapelle
des Reichsarbeitsdienstes un
terhielt die Menschen bis zum
Beginn des Festaktes mit
Marschmusik.
Sozusagen als Bauherr und
Gastgeber begrüßte dann der
Chef der Bauleitung, Direktor
Liebetrau, die Versammelten,
allen voran den NS-Gauleiter
Weinrich, den Oberpräsiden
ten Prinz Philipp von Hessen
und den kommandierenden Ge
neral Dollmann. Er dankte al
len am Bau Beteiligten und wies
auf den hohen verkehrstechni
schen und wirtschaftlichen
Wert des neuen Bauwerks hin.
Er sagte unter anderem wört
lich: „Das Autobahn-Teilstück
bringt die zwei Städte einander
ÜBER DIE NIESTEBRÜCKE rollt die Wagenkolonne gen Göttingen. Soeben hat der Mercedes des
Gauleiters das Band durchrissen. Ihm folgen 500 Fahrzeuge. Offiziere der Wehrmacht - wie hier
in dem vorderen Wagen - sind stark vertreten. Wenige Jahre später wird die Autobahn auch
ihren kriegstechnischen Wert beweisen. Foto; Carl Eberth
so nahe, daß man mit einem
normalen Personenwagen
künftig vom Friedrichsplatz in
Kassel bis zum Rathaus Göttin
gen bequem in 35 bis 40 Minu
ten gelangen kann.“
Gauleiter Weinrich schilder
te anschließend in einer langen
Rede die landschaftliche
Schönheit der Strecke und gab
einige Einzelheiten bekannt.
Auf der 38 Kilometer langen
Strecke mußten 79 Bauwerke
errichtet werden: 18 Unterfüh
rungen, 18 Überführungen, 34
Durchlässe, sieben Brücken
unter zehn Meter lichte Weite
und zwei Brücken über zehn
Meter lichte Weite: die Nieste-
und die Werrabrücke.
Weinrich strich noch heraus,
daß der Autobahnbau hervor
ragenden Anteil an der Beseiti
gung der Arbeitslosigkeit ge
habt habe und daß der Autofah
rer nun Zeit, Treibstoff und
Reifen spare. Natürlich be
hauptete er auch, der Auto
bahnbau sei „ureigenste Idee
des Führers”. Dabei gab es Vor
stellungen von Nur-Autostra-
ßen in Deutschland bereits seit
1923, und die Studiengesell
schaft „Hafraba" legte 1926 er
ste Pläne vor.
Unter dem Jubel der Men
schen setzte sich dann eine
Wagenkolonne von über 500
Kraftfahrzeugen in Richtung
Göttingen in Bewegung - vor
neweg der Mercedes des Gau
leiters. An der Niestebrücke
durchfuhr er das dort gespann
te Band.
In Göttingen empfing ein gro
ßes Menschenaufgebot den
Wagenzug in einem Meer von
Fahnen und Girlanden. Hier re
dete NS-Kreisleiter Dr. Gen-
gler. Anschließend rollte die
Wagenkolonne - nun verlän
gert durch einige Göttinger
Fahrzeuge - zurück nach Kas
sel. In einem Riesenzelt auf dem
Friedrichsplatz klang der Tag
mit einem Festessen für alle Ar
beiter aus, die am Autobahn
bau mitgewirkt hatten. Die
Städte Kassel und Hannover
waren die Gastgeber; Kassels
Stadtverwaltung hatte dazu
noch das Zelt bereitgestellt.
Nicht der Dauerregen allein
trübte vor 50 Jahren die Fest
freude. Weit mehr tat es die
Erinnerung an die acht Arbei
ter, die beim Autobahnbau
durch Unglücksfälle ihr Leben
hatten lassen müssen: Willi
Umbach aus Münden, Her
mann Wedemeyer aus Ostero
de, Otto Hillebrecht aus Boven-
den, Adam Keller aus Arheili-
gen, Siegfried Möhle aus Hede
münden, Kurt Tober aus Essen,
Georg Vollmann aus Münden
und Albert Münner aus Kassel
rff.