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Leistungen, Entbehrungen und Opfer abverlangt. In diesen ex
trem steigenden Leistungsdruck waren auch die Fremdarbeiter
mit einbezogen. So war es auch nicht verwunderlich, daß es zu
Sabotageaktionen kam. Trotz dieser allgemein katastrophalen
Lage, glaubten Viele immer noch, und wollten es Anderen auch
glauben machen, an einen Endsieg. Die Parolen des totalen Krie
ges "Kanonen statt Butter", "Räder müssen rollen für den Sieg",
"Vorsicht, Feind hört mit" u. a., waren in Rundfunksendungen
ständig zu hören und auf Bändern oder Plakaten an den noch ste
henden Häuserfronten zu sehen. Von einigen, wenigen ganz opti
mistischen Menschen wurde auch immer noch an das Vorhandensein
und zum baldigen Einsatz kommenden "Wunderwaffe" geglaubt. Die
gab es aber nur in Form der "Vlund in der Entwicklung "V2"-
Rakete.
Dies war zum Jahresende 1944 die allgemein bekannte Lage.
Zum Beginn des Jahres 194-5 war den meisten Bürgern klar gewor
den, daß dieses Jahr eine Beendigung des Krieges bringen würde
und der Krieg verloren war. Die von der Bevölkerung zu tragen
den Lasten wurden immer unerträglicher. Ende Januar/Anfang Feb
ruar begann an der Ostfront ein Großangriff russischer Truppen
mit Stoßrichtung auf das deutsche Reichsgebiet mit einem schnel
len Vorwärtskommen. Anfang März wurde die Stadt Köln von ameri
kanischen Truppen erobert und die Rheinbrücke bei Remagen in
Besitz genommen. Damit war vom Westen her das Tor nach Deutsch
land geöffnet. Es sollte nun keinen "Halt" mehr geben, bis zur
bedingunslosen Kapitulation der deutschen Regierung und der
Wehrmacht sführung.
Schon am Neujahrstag des Jahres *194-5 begannen wieder die Flie
gerangriffe auf Kassel und die nähere Umgebung. Am 14. Januar
war von 19,oo Uhr bis 1,00 Uhr, also volle 6 Stunden ohne Un
terbrechung, Fliegeralarm. Weitere Fliegeralarme erfolgten noch
im Januar, Februar und März. Geschützdonner und andere Geräu
sche von Kampfhandlungen kamen immer näher und es konnte nur
noch eine Frage der Zeit sein, bis feindliche Truppen vor den
Toren Kassel's eintreffen würden.
In der Osterwoche des Jahres 194-5 waren amerikanische Truppen
verbände vor Marburg/Lahn angekommen und Spitzen anderer Ver
bände berührten Wolfhagen. Der Gefechtslärm wurde immer deut
licher hörbar. Von amtlichen Stellen wurden diese Geräusche bei
der Bevölkerung als ein Übungsschießen der "Flak" bezeichnet.
Von noch anwesenden verantwortlichen "Parteigrößen" wurden nur
noch sinnlose, oft widersprüchliche Befehle und Anordnungen an
die Bevölkerung gegeben.
Am Karfreitag, dem 5o. März 194-5* gegen io, 00 Uhr, gab es ein
lang anhaltendes Ertönen der Sirenen, aber eine Entwarnung er
folgte nicht mehr. Das Gebiet um Kassel war "Front-/Kampfgebiet"
geworden. Einige Bürger verließen noch Sandershausen, um in den
sogenannten "rückwärtigen Gebieten" dem Bevorstehenden auszu
weichen oder einen Schutz zu suchen.
Am Nachmittag dieses Tages hatten auf "Befehl" des Ortsgruppen
leiters sämtliche männlichen Einwohner des Dorfes auf dem Platz
vor dem Bürgermeisteramt zu erscheinen. Lt. vorhandener Auf
zeichnungen sollen sich 5o bis 4o Mann vor dem Bürgermeisteramt
eingefunden haben. Der Ortsgruppenleiter beschwor diese Männer,
das Dorf nicht kampflos dem Feind zu übergeben, sondern sich ge-r
gebenenfalls kämpfend zurückzuziehen, denn der Staat brauche
auch jetzt noch tapfere Männer. Die Versammlung wurde dieses
mal allerdings ohne das sonst obligatorische "Dreifache Sieg
heil!" beendet.
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