Full text: Geschichte I (2)

- 76 - 
- 75 - 
Mit Beendigung des deutsch-/französischen Krieges ("1870/71) 
und der Gründung des Deutschen Reiches (l87l) wurde die 
Grundlage für eine sprunghafte Aufwärtsentwicklung der Wirt 
schaft eingeleitet. Es begannen die sogenannten "Gründer- 
jahre". In dieser Zeit entstanden überall im Reich große 
Industriebetriebe, von denen in Kassel die Lokoaaotivf abrik 
Henschel & Sohn wohl die größte war. An den Orten, an denen 
die Industrieansiedlungen am größten waren, wurden auch die 
meisten Arbeitskräfte benötigt, und so ist es verständlich, 
daß sich die Menschen von den neuen Arbeitsmöglichkeiten 
angezogen fühlten. 
In die industrieelle Entwicklung im Raum Kassel wurde -durch 
die Nähe zur Stadt- das Dorf Sandershausen sehr schnell ein 
bezogen. Die Folge war: Es bahnte sich auch eine Änderung 
der sozialen Struktur der Einwohner an. Bisher konnten die 
Einwohner im großen und ganzen in Bauern (Ackerleute); Hand 
werker, die oft auch noch Landwirtschaft betrieben; in 
Kleinbauern und dann noch in die sogenannten "kleinen" oder 
"geringen" Leute, wie Tagelöhner, Dienstknechte oder Dienst 
mägde unterteilt werden. Diese Unterschiede der sozialen 
Stellung waren aber kaum erkennbar, denn dazu war das Dorf 
zu klein und die Menschen zu sehr aufeinander angewiesen. 
Durch den Bedarf an Arbeitskräften in der neu geschaffenen 
Industrie suchten viele Tagelöhner und Dienstknechte der 
Landwirtschaft, aber auch Kleinbauern nun in diesen Betrie 
ben ihren Lebensunterhalt zu verdienen und wurden Fabrik 
arbeiter. Die Zeit der sogenannten Landflucht begann. Diese 
Landflucht wirkte sich natürlich auf die Bodenbewirtschaf 
tung negativ aus. 
Die größte Anzahl der neuen Fabrikarbeiter war in der Loko- 
motivfabrik Henschel & Sohn beschäftigt. Sie wurden die 
"Henschelaner" genannt. Die Arbeitszeit in den Fabriken be 
trug zehn bis zwölf Stunden täglich und begann morgens um 
6,00 Uhr. Fahrgelegenheiten gab es noch nicht und so wurde 
der Weg morgens in die Fabrik und abends zurück auf "Schu 
sters Rappen" zurückgelegt. Morgens so gegen fünf Uhr mar 
schierten also kleine Grüppchen Sandershäuser Fabrikarbei 
ter durch die Hellebergwiesen in Richtung "Henschelei" und 
kamen abends auf dem gleichen Weg so gegen 2i,oo Uhr wieder 
nach Hause. Sandershäuser Fabrikarbeiter, die in anderen 
Betrieben ihren Lebensunterhalt verdienten, hatten zwar an 
dere Fußwege zurückzulegen, aber der zeitliche Aufwand war 
wohl annähernd gleich. 
Die Arbeiter hatten sich dem Rythmus der Maschinen unter 
zuordnen und standen auch damals schon unter einem ständi 
gen Leistungsdruck der oft die physischen menschlichen 
Kräfte überschritt. So konnte es nicht ausbleiben, daß sich 
die Arbeiter sehr bald als vom Kapital ausgebeutet fühlten. 
Es entstanden neue soziale Probleme. Der Begriff des arbei 
tenden "Proletariats" wurde geprägt. 
Um nun Spannungen abzubauen und soziale Probleme von der 
Wurzel her zu lösen, wurde: Im Jahre 1885 das Gesetz der
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.