Full text: Brief von August Wilhelm Albrecht an Wilhelm Schwaner

25. Jahr Der Selbsterzieher Blatt 5 
Euer «WissenMollen ist es, das Euch vom Er 
kennen ferne hält! ' Euer Wissen-Wollen ist es, das 
«Euch nicht erwachen läßt! 
Euer Wissen-Wollen ist es, das Euch zu Sklaven 
Eurer Götzen macht, wie immer Ihr sie auch mit 
Namen Kennen mögt! 
Solange Ihr aber einem selbstgeschaffenen 
Götzen unterworfen seid, auch wenn Ihr ihn „beu 
einen, wahren Gott" zu nennen Pflegt, kann nie- 
mals lebendiger Geist sich selbst in Euch zu Eurem 
„lebendigen Gott" gebären. 
* 
Bevor der „lebendige Gott" in 'Dir geboren ist, 
mußt Du notwendigerweise ein „gottloser Götzen 
diener Deiner Traumwelt" sein. 
Bevor der „lebendige Gott" in .Dir geboren 
ist, bist Du tot, und ahnst noch nicht in Deinen 
kühnsten Träumen, was Dein Leben in Wahrheit 
ist — Dein Leben, das Du träumend längst zu 
kennen glaubst. 
Bevor der „lebendige Gott" in Dir geboren ist, 
muß das Wissen Deiner Traumwelt Dich am Gän 
gelbande führen, und alles, was Dir wahrer scheint 
als früheres Bedünken, ist nur neuer Irrtum, 
neuer Traum. 
Dein Wille zum Erwachenwollen nur kann 
Dich aus Deinen Träumen reißen und denen, die 
bereits erwachten, helfen, Dich aus deinem Schlafe 
zu befreien. 
Nur in erwachten Seelen kann der „lebendige 
Gott" sich aus „Geist und Wasser" gebären. 
Noch möchtest Du nur erwachen; allein Du 
willst noch Deine Träume weiter träumen. 
Noch bindet Dich die Traumwelt, die dich seit 
der Jugendzeit umgab. 
Noch fesseln Dich der andern Träume allzusehr, 
und Du wagst es nicht. D>eine eigenen Wege zu be 
schreiten; denn Dich schreckt die Einsamkeit, durch 
die Du unermüdlich wandern mußt, wenn Du die 
neuen Gefährten der Welt der Wirklichkeit dereinst 
erreichen willst. 
Doch all diese Hemmnisse wirst Du überwinden 
müssen, willst Du jemals zur Klarheit des wachen 
Tages gelangen. 
Ich rate Dir: kasie heute, während Du diese 
Worte liest, den festen Willen, Dich nicht mehr 
länger dem gemeinsamen Schlafe Deiner Schlaf- 
und Traumaenoüen hinzugeben! 
Ich rate Dir: fasse heute noch den festen 
Willen, alles aufzubieten, um im Lichte meiner 
Lehre Deine Träume als solche zu erkennen! 
Ich rate Dir: überlasse Dein ganzes bisheriges 
Wissen in Rübe der Traumwelt, die es Dir gab; ge 
brauche es ruhig weiter, soweit Du auch weiter mit 
Träumenden verbunden bleibst; doch erwarte nicht 
mehr von ihm die Lösung jener letzten Fragen, die 
das Menschenherz bewegen! 
Und ich rate Dir ferner: mißtraue jedem from 
men Glauben, der Dich in Deiner Traumwelt je 
erreichte: mißtraue mehr noch allen, die da allen 
Glaubenswahn der Träumenden in einem alles ver 
mischenden neuen Glaubenswahn vereinigen wollen. 
70 
Mißtraue jenen, die durch neue ,-Wissenschaft" 
den alten Glauben ihrer Träume übertünchen! 
Suche Dich loszureißen von jeder Vorstellung, 
die andere Träumende in Deine Träume brachten 
auf Deine Frage nach den letzten Dingen! 
Wohl steckt in jedem Glaubenswahn ein Körn 
chen Wahrheit, wie auch den Träumen Deiner 
Erdennächte oft ein äußerliches Geschehen oder ein 
körperlicher Zustand ihre Auslösung schafft; aber ge 
rade wegen dieser geringen und gut verhüllten 
Wahrheit kann Dir jeder Glaübenswayn der Traum 
welt, in der Du seither Dich wachend glaubst, zum 
Verhängnis werden. 
Hüte Dich, was Du nun zu erlangen strebst, 
die Wahrheit des lichten Tages der Wirklichkert, 
durch Dein Denken erschließen oder nach den Dir 
bekannten Denkgesetzen überprüfen zu wollen! 
Was Du nun erlangen Nullst, steht über dem 
Denken, und Du kannst erst, wenn Du es erlangtest, 
Dein Denken zu ihm erheben. 
Was Du nun erlangen willst, mußt Du selber 
werden; es kann Dir niemals durch die Formen 
Deiner seitherigen Versuche, die Wahrheit zu fassen, 
sich erschließen. 
Dein erstes Beginen muß darauf gerichtet sein, 
eine weite Leere in Dir zu schaffen, damit das 
Neue, das Dich erfüllen soll, auch Raum in Dir 
finde. 
Erwarte nicht, daß sich von heute auf morgen 
das Neue zeigen werde! 
Es ftnb Jahre nötig, bis Du so bereitet bist, 
daß man Dich aus dem Schlafe reißen kann, ohne 
Dich zu gefährden. 
Nur Dein beharrlicher Mut kann Dich führen 
im Anfang Deines Weges. 
Wenn Du aber ernsthaft bestrebt bist, Dich aus 
den Fesseln Deiner Träume und der Traumwelt 
der andern zu erlösen, dann werden Dir gar bald 
die Dinge, die Du jetzt noch träumend zu erkenen 
meinst, bald diese, bald jene andere Seite zeigen 
und Dich so belehren, daß Du auf dem rechten 
Wege bist. 
Glaube nicht, daß plötzlich die erträumten Wun 
der, die man in Deiner bisherigen Traumwelt für 
Zeichen der Erweckung hält, Dein Leben erfüllen 
werden! 
Es werden Zeichen und Wunder auf Deinem 
neuen Lebenswege geschehen; aber ich zweifle sehr 
daran, daß Du sie bemerken wirst, bevor sich „das 
dritte Auge auf Deiner Stirne geöffnet haben wird." 
Es ist auch nicht nötig, daß Du sie vorher be 
merkst. 
Gar mancher war dem Erwachen nahe und 
fiel zurück in Schlaf und Traum, weil er dem ge 
heimnisreichen Wunderweben über seinem Wege 
noch nicht gewachsen war und sich betäuben ließ 
durch wundersame Stimmen. 
* 
Je nüchterner und von Romantik freier Du 
Deine Straße wandelst, desto besser! 
Du sollst nichts erwarten und nichts erstreben, 
außer dem Einen: aus Deinem Schlafe, aus der 
Traumwelt der andern, erwachen zu wollen!
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.